Rezension

Sommerleben...

Das Sommerbuch - Tove Jansson

Das Sommerbuch
von Tove Jansson

Bewertet mit 4.5 Sternen

Tove Jansson ist wohl vor allem durch ihre MUMIN-Geschichten international bekannt. Doch sie schrieb auch zehn Romane für Erwachsene - einer davon ist 'Das Sommerbuch'.

Eine über achtzigjährige Großmutter und ihre sechsjährige Enkelin Sophia verbringen den Sommer auf einer winzigen Schäreninsel im finnischen Meerbusen. Viereinhalb Minuten dauert ein Rundgang um die Insel: Felsbrocken, Gestrüpp, Blumenwiese, Trockengraswiese, Kiefernhain, Moortümpel - das ist in den langen, langsamen Monaten zwischen Frühling und Herbst auf der kleinen Insel ihr eigenes karges und doch so lebendiges Paradies. Sophia und ihre Großmutter stellen Tierskulpturen her, schnitzen Boote aus Rinde, sie sammeln Beeren, Treibholz und Knochen. Sie zeichnen, schreiben, erzählen Geschichten, bauen eine Stadt auf Pfählen im Morast, rudern zu den anderen Inseln hinüber, schlafen und schwimmen und reden.

"Wann stirbst du?", fragte das Kind. Und die Großmutter antwortete: "Bald. Das geht dich aber überhaupt nichts an."

Eine Welt voller kleiner Wunder ist es, die der Leser da mit Sophia und ihrer Großmutter entdeckt. Viele eigene Erfahrungen ließ die Autorin in dieses Sommerbuch einfließen, und die Liebe zu diesen Erinnerungen und zu der kleinen Insel ist in jeder Zeile spürbar. Aber auch die Liebe zwischen Sophia und ihrer Großmutter, die sich nur noch mühsam mit Hilfe eines Stockes über die Insel bewegen kann. Oftmals herrscht zwischen den beiden eher ein ruppiger und rauer Ton, aber es ist zu spüren, wie ernst die alte Frau ihre Enkelin nimmt, wie sie sich zu keinem Moment über sie lustig macht oder über sie hinwegsetzt, sondern immer zur rechten Zeit das Richtige zu sagen vermag, sei es auch noch so merkwürdig.

"...und nur noch das Schweigen war da. Schließlich sagte Sophias Großmutter: 'Ich kann ein Lied, das kannst du nicht.' Sie wartete eine Weile, dann sang sie, sehr falsch, weil ihre Stimmbänder verrostet waren: 'Trallali, schmeiß nie mit Kuhscheiß, trallalabumm. Trallalala, weil ich dann zurückschmeiß. Trallalawumm.' 'Was hast du da gesagt?', flüsterte Sophia, weil sie gar nicht glauben konnte, was sie gehört hatte..."

Die beiden Figuren haben mir sehr gut gefallen. Sophia und ihre Großmutter sind zwei unanbhängige, starke Charaktere, die zahllose Diskussionen miteinander führen und sich durchaus auch einmal streiten, doch wenn es darauf ankommt, sind sie füreinander da. Jede der beiden macht sich seine Gedanken, oft über Kleinigkeiten, und als Leser nimmt man so noch einmal wahr, wie sehr Kinder in Staunen verfallen können - und dass das im Alter nicht enden muss. Philosophisches vermischt sich hier mit viel subtilem Humor, der Ton ist meist heiter, die Sprache klar und poetisch.

"Mitten in den Kieswall hatte der Direktor ein großes Schild mit schwarzen Buchstaben gestellt: ~Privat. Betreten verboten.~ 'Wir gehen an Land', sagte die Großmutter, sie war sehr verärgert. Sophia sah sie ängstlich an. 'Das hier ist was ganz anderes', erklärte ihre Großmutter. 'Kein einigermaßen wohlerzogener Mensch geht auf einer Insel an Land, die einem anderen gehört, auch nicht, wenn niemand dort ist. Aber wenn sie ein Schild aufstellen, tut man das, denn das ist eine Herausforderung.' 'Natürlich', sagte Sophia und erweiterte ihre Lebenserfahrung."

Ein Roman, der entschleunigt, der einen tief eintauchen lässt in den langen finnischen Sommer, und der vor Augen führt, dass man auf angenehme Weise auch gemeinsam einsam sein kann. Für mich war das Buch eine wundervolle Entdeckung.

© Parden