Rezension

Spannend aber erst im zweiten Drittel

Der rote Judas - Thomas Ziebula

Der rote Judas
von Thomas Ziebula

Bewertet mit 3.5 Sternen

Kriegsverbrecher und ihre Rückkehr in ein anderes Leben

Inhalt

Der Krieg ist vorbei, die Morde gehen weiter. Diesmal nicht auf dem Schlachtfeld im Getümmel sondern so wie eh und je aus niederen Motiven und mörderischen Gelüsten. Paul Stainer wird nach seiner Rückkehr aus dem Kriegsdienst sogar befördert und soll fortan in der Wächterburg, dem Leipziger Polizeiamt, seinen Dienst als Kriminalinspektor antreten. Obwohl ihm seine alte Arbeit immer Spaß gemacht hat und er vor dem Krieg sehr motiviert war, belasten ihn nun seine Erinnerungen an jene Erfahrungen: schon beim geringsten Geräusch zuckt er zusammen und seinen temporären Gedächtnisverlust versucht er zu verschleiern, damit ihn niemand als Invaliden ansehen muss.

Doch gerade in der neuen Zeit spaltet sich die Bevölkerung in zwei Lager und auch die Beschäftigten bei der Polizei sind längst nicht so integer, wie Paul sie sich wünschen würde. Als er eine Mordserie aufklären soll, die anfangs wie ein Einbruch mit Diebstahl und Todesfolge aussah, wird ihm bewusst, dass er keinem mehr vertrauen kann. Denn er begegnet jenem Kommandanten aus Kriegszeiten wieder, der ihm einst im Schützengraben das Leben gerettet hat, doch nun scheint dieser in eine undurchsichtige politische Operation unter dem Decknamen „Judas“ verwickelt zu sein. Und Paul Stainer steht eindeutig auf der falschen Seite der Gesinnung, so dass es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis er ins Fadenkreuz der Mörder gerät – aber wer steckt hinter dem mörderischen Komplott, dem auch Stainers Ehefrau zum Opfer fällt?

Meinung

Die bisherigen Bewertungen dieses Kriminalromans waren durchweg positiv und ich habe mich auf spannende Lesestunden gefreut, bei dem historische Hintergründe und politische Ereignisse zumindest indirekt einen Handlungsschwerpunkt darstellen. Allerdings gestaltet sich der Text gerade zu Beginn sehr müßig und erinnert nur am Rand an einen Kriminalfall, liegt doch das Augenmerk vor allem an persönlichen Ereignissen, die Paul Stainer plagen.

Seine Erlebnisse im Krieg, seine Ängste bezüglich der neuen Zeit, die Hintergründe – alles wird intensiv und glaubwürdig aufgearbeitet. Doch erst in der zweiten Hälfte des Buches rückt der aktuelle Fall in den Mittelpunkt, dann nimmt die Spannung zwar merklich zu und dennoch beginnt auch die Endlosschleife, die erneut auf traumatisierte Menschen und ehemalige Kriegsverbrecher abzielt. Allein das ständige Gequalme auf den gut 400 Seiten hat mich maßlos gestört, weil jede ausgedrückte Zigarette, jedes Feuer anzünden, jede Rauchschwade derart zelebriert wird, dass es mich nur nervte.

Eigentlich hat mich der Fall erst im letzten Drittel wirklich gut unterhalten, gerade weil hier deutlich wird, wie zerrüttet das Land wirklich ist, wie unterschiedlich die Kriegsverlierer mit dieser Tatsache umgehen. Dabei zeigt sich auch, dass es vollkommen egal ist, welcher politischen Gruppe man sich zugehörig fühlt – die Gegner sind nicht weit und jeder Bürger, der sich irgendetwas zu Schulde kommen lässt oder auch nur mit den falschen Personen Kontakte pflegt, steht bereits auf der Abschussliste diverser Gruppierungen.

Positiv beurteile ich die verschiedenen Perspektiven, die gewählt wurden. Dadurch bekommt die Erzählung viel Tiefe und lässt auch jene Personen glaubhaft erscheinen, die sich nach außen eher verschlossen geben. Tagebucheinträge ergänzen die Handlung und generell gestaltet sich der Verlauf äußerst spannend und vielschichtig. Dennoch konnte mich dieser Kriminalroman insgesamt nicht recht überzeugen, gerade weil dem Privatleben so viel Platz eingeräumt wird. Meine Bindung an die Protagonisten ist nur mäßig ausgeprägt und die Bösewichte konnten mich auch nicht wirklich schrecken.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen historisch inspirierten Kriminalroman mit viel Lokalkolorit, der dem Leser interessante Einblicke in das Leben der bürgerlichen Schicht nach Ende des 1. Weltkrieges gewährt. Die Begriffe gut und böse sind hier mehrdimensional und nicht so leicht festzumachen zwischen den Opfern und Schuldigen, die vielleicht nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren. Im Januar 2021 soll der zweite Band dieser Reihe veröffentlicht werden, ich bin allerdings unschlüssig, ob ich sie weiterverfolge.