Rezension

Spannend, aber viel verschenktes Potenzial

Nur das Böse - Koethi Zan

Nur das Böse
von Koethi Zan

Bewertet mit 3.5 Sternen

Cora lebt gemeinsam mit ihrem Mann James auf einer abgelegenen Farm und versucht, eine längst gescheiterte religiöse Gemeinschaft wieder aufzubauen. Zu diesem Zweck wird die junge Studentin Julie entführt und in einer Kammer im Haus dauerhaft eingesperrt. Doch als James wochenlang verschwindet und Coras Hass auf die ,,Auserwählte" immer mehr steigt, droht die Situation zu eskalieren. Gleichzeitig hat sich der Expolizist Adam auf die Suche nach einem Mädchen gemacht, dass schon seit vielen Jahren verschwunden ist... . 
Übersetzt wurde der Text ins Deutsche von Verena Kilchling.
Koethi Zan hat hier einen Thriller geschrieben, indem sie verschiedene Handlungsstränge entworfen hat und so parallel mehrere Geschichten erzählt. Das Buch ist so sehr abwechslungsreich und auch spannend, aber oftmals geht die Dynamik durch die ständigen Wechsel zwischen den Perspektiven und der Zeitebenen etwas verloren. 
Anders als ich es erwartet habe, dreht sich das Buch nicht hauptsächlich nur um Julie und ihre Zeit bei den Kidnappern, sondern vor allem um Cora und ihre Vergangenheit. Tatsächlich spielt die Entführung nur eine untergeordnete Rolle in der Handlung an sich und auch andere Komponenten, wie die Suche nach der Vermissten fehlen fast komplett. So bekommt man hier eine ganz andere Entführungsgeschichte geliefert, die mich zum Teil überzeugen konnte, aber mich auch streckenweise etwas enttäuscht hat.
Die meist im Mittelpunkt stehende Cora wirkte auf mich von Anfang an unsympathisch. Ähnlich wie Julie fragt man sich, warum die Frau ihr nicht hilft und ihrem Mann komplett hörig zu sein scheint, obwohl dieser sie auch schlecht behandelt. Genau an diesem Punkt setzt die Autorin an und gibt dem Leser ein umfassendes Bild von Coras Vergangenheit, das zum Teil erklärt, warum sie so geworden ist. Man erfährt dadurch zum Beispiel, dass sie oft genug selbst schwere Dinge erleben musste und durch Brutalität selbst zum Opfer wurde.
Am meisten beeindruckt hat mich jedoch Julie, die mit ihrer unvorstellbar schrecklichen Situation ausgesprochen rational umgeht und versucht, durch Intelligenz und genaues Beobachten von Cora herauszufinden, wie sie diese zu ihren Gunsten beeinflussen kann. Bei den Schilderungen von Julie hat mich jedoch oft sehr gestört, dass das meiste, was ihr passiert, im Dunkeln bleibt. Effekthascherei und brutale Details mag ich sonst auch nicht, aber hier erfährt man einfach viel zu wenig Aufschlussreiches.
Der ehemalige Polizist Reed, der einen alten Vermisstenfall aufklären will, hat mir anfangs noch mit seiner Hartnäckigkeit gefallen, doch schnell merkt man, wie extrem emotional und auch unprofessionell er agiert, Spätestens am Ende des Buches mochte ich ihn überhaupt nicht mehr und konnte sein Handeln gar nicht mehr nachvollziehen.
Schade ist auch, dass man über den eigentlichen Entführer James nur ausgesprochen wenig erfährt. So bleibt er bis zu letzt der religiöse Scharlatan, von dem man nicht einmal weiß, ob er selber an seine Reden und seine Visionen glaubt.
Koethi Zan schreibt flüssig und gut lesbar und behandelt auch existenzielle Fragen, wie es dazu kommt, dass ein Mensch ,,böse wird" und falsche Entscheidungen trifft. Leider konzentriert sie sich aus meiner Sicht zu sehr auf Cora und platziert dabei die eigentliche Entführung zu sehr im Hintergrund. Auch ein wenig schade fand ich, dass eingebaute Wendungen und Komplikationen oft ins Leere verlaufen und so die Handlung auch etwas unrealistisch wirkt.
Insgesamt ist ,,Nur das Böse" ein solider und spannender Thriller, bei dem die Autorin doch etwas Potenzial verschenkt und eine ganz andere Geschichte als man erwartet, geliefert hat. Dennoch empfehle ich das Buch hier gerne weiter.