Rezension

Spannend trotz kleiner Schwachstellen

Mordseegrab -

Mordseegrab
von Andreas Temmer

Ein zutiefst traumatisierter Oberkommissar kündigt seinen Job bei der Kripo, kauft sich einen alten Bauernhof an der Nordsee, um dort zur Ruhe zu kommen. Doch er ist noch nicht einmal richtig eingezogen, hat die Kartons noch nicht ausgepackt, da wird er von seiner Nachbarin gebeten, ihrer Freundin zu helfen. Deren Sohn wurde verhaftet. Er soll seine Freundin, die Tochter eines der reichsten Männer Deutschlands umgebracht haben. Der junge Mann gesteht die Tat auch. Allerdings fehlt die Leiche, die auch nach tagelanger Suche in der Nordsee nicht gefunden wird. Lukas Waldauf stürzt sich in die Lösung des Falles, glaubt nicht an die Schuld des jungen Tatverdächtigen. Damit steht er allerdings ziemlich allein da.  Bei den Eltern des Opfers läuft er gegen eine Wand, wird von den zuständigen Polizisten abgewiesen und gerät ins Visier von Unbekannten, die ihn bedrohen.

Meine Meinung:

Lukas Waldauf ist ein Charakter, der es dem Leser nicht leicht macht, ihn zu mögen. Wortkarg, zerrissen, verstört – so zeigt er sich seiner neuen Nachbarin. Kein Wunder er hat auch Schlimmes erlebt, wurde bei seinem letzten Einsatz schwer verletzt, sein Leben konnte gerade noch so gerettet werden, während eine junge Zeugin, die unter seinem Schutz stand, brutal ermordet wurde. Seither hat er nicht nur psychische Probleme, seine Leistungsfähigkeit ist durch die beschädigte Lunge auch stark eingeschränkt.

Dennoch zeigt sich, dass er im Grunde ein gutherziger Mensch ist. Er arbeitet pro Bono – also ohne Honorar zu verlangen. Eigentlich wollte er auch nur Erkundigungen einziehen. Die Angelegenheit entwickelt sich jedoch schnell zu einem ausgewachsenen Fall.

Seine neue Nachbarin Anke hat es Waldauf angetan. Er ist allerdings noch nicht bereit, sich auf eine Beziehung einzulassen. Zu tief sitzt der Tod der jungen Frau, für den er sich verantwortlich fühlt, den er sich nicht verzeihen kann. Er leidet unter Alpträumen, die mir ein bisschen zu viel sind. Dass er immer wieder von diesen Erlebnissen im Schlaf heimgesucht wird, ist verständlich, doch bekommen sie meiner Meinung nach zu viel Raum in der Geschichte. Das waren Stellen, die ich dann irgendwann ausgelassen habe. Man hätte sich auch kürzer fassen und andeuten können. Im Grunde ist es immer wieder derselbe Traum – lediglich in Feinheiten unterschiedlich. Sie tragen zur Lösung des Falles nicht bei, beschreiben lediglich den Grund für seine psychischen Probleme.

Dennoch finde ich, ist dem Autor gelungen, den Charakter des Protagonisten sehr gut herauszuarbeiten, wobei er tief in die Psychologiekiste gegriffen hat. Nicht negativ und auch nicht in Richtung Schizophrenie. Aber die Verarbeitung einer posttraumatischen Belastungsstörung hat er gut beschrieben. Wobei Anke die Rolle der Psychiaterin übernimmt, die sie aber gar nicht ist. Sie hat einfach ein gutes Feeling, bedrängt ihn nicht, lässt ihm den Freiraum, den er braucht, ist aber immer für ihn da.

Was die Lösung des Falles angeht, muss ich sagen, dass ich schon früh auf die Variante gekommen bin, die sich dann am Ende auch darstellt. Für mich war es die logische Folge des beschriebenen Ablaufs und der Hintergründe. Trotzdem war es interessant zu beobachten, wie Waldauf bei seinen Bemühungen immer wieder aufläuft, weil ihm keiner glauben will.

Leider gibt es lose Enden, es ist nicht alles komplett durcherzählt. Da gibt es beispielsweise Angriffe auf Waldaufs Leben, die er mit seinem früheren Fall, bei dem er verletzt wurde in Verbindung bringt. Zumindest sieht er darin eine Möglichkeit. Was aber tatsächlich dran ist, erfährt der Leser nicht. Schade.

Mit dem Titel bin ich irgendwie nicht glücklich geworden, wobei ich das noch nicht einmal näher begründen kann. Ich finde einfach, er passt nicht so richtig.

Fazit:

Ich bin etwas zwiegespalten. Der Fall ist spannend, die Charaktere sind auch gut ausgearbeitet. Aber wie gesagt: Waldauf macht es dem Leser nicht leicht, ihn zu mögen. Andererseits macht das auch wieder die Geschichte aus. Die Alptraumszenen könnte man kürzen. Am Ende wird es meiner Meinung nach etwas unlogisch. Man könnte es auch umständlich nennen. Ich habe mich gerade im Showdown gefragt, warum er nicht einfach … nein, das verrate ich hier nicht. Das wäre spoilern und das möchte ich nicht. Ich hätte jedenfalls anders reagiert, die einfachere Lösung bevorzugt und damit Stress rausgenommen. Aber dann wäre die Spannung verloren gegangen.

Meine Leseempfehlung:

Trotz meiner Anmerkungen kann ich das Buch nur empfehlen. Einen Stern Abzug gibt es für die die losen Enden und die Alpträume, die mir definitiv zu viel waren. Die Tatsache, dass ich das Buch innerhalb weniger Tage durchhatte, zeigt, dass mich die Story gefesselt hat. Ich wollte einfach wissen, wie sie endet.