Rezension

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spannend und herzerwärmend!

Winterapfelgarten - Brigitte Janson

Winterapfelgarten
von Brigitte Janson

Selten hat mich ein Buch so gefesselt wie dieses. Mit viel Wärme und wunderbar gezeichneten Charakteren erzählt Brigitte Janson (alias Brigitte Kanitz) von der Freundschaft zwischen drei Frauen.
Claudia, die mit 51 plötzlich ohne Arbeit dasteht, ihre Tochter Jule, die seit einem schweren Reitunfall in Schwermut versinkt und Sara, eine Anwaltsgattin, die sich von ihrem Mann Christian scheiden ließ, sind seit Jules Geburt eng miteinander befreundet.
Vielleicht ist es das Schicksal, das dafür sorgt, dass Claudia auf einer Bank ausgerechnet einen Winterglockenapfel aus dem Alten Land findet. Claudia erkennt in dem alten Bauernhof mit dem Apfelgarten eine Chance. Eine Zukunft für sich, ihre Tochter Jule und für Carina, das Pferd, mit dem der Unfall passierte.

Um das baufällige und stark renovierungsbedürftige Bauernhaus bewohnbar zu machen, haben die Frauen aber alle Hände voll zu tun: das Dach müsste eigentlich komplett erneuert werden, Schimmel hat schon einige Stellen der Wände erobert und die Heizung fällt immer wieder aus.
Auch der Nachbar, Johann van Sieck, lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Freundinnen unerwünscht sind. Seine eigenbrötlerische Art macht Claudia und Sara Angst und außerdem hat er ungewöhnlich großes Interesse an dem Apfelgarten, obwohl er selbst einen riesigen – und viel größeren – Apfelgarten besitzt. Nur Jule, die ebenfalls kein Blatt vor den Mund nimmt, ist beeindruckt von seiner ruppigen, direkten Art und freundet sich mit dem Nachbarn an.
Und dann steht plötzlich Elisabeth vor der Tür. Die ist zunächst total verwirrt von den drei Frauen, braucht aber deren Hilfe bei einer Autopanne. Zum Dank bietet sie ihre Kochkünste an und mit dem Duft des selbstgekochen Essens und Elisabeths Gabe, ein Heim zu schaffen, hält die Gemütlichkeit Einzug in den Apfelhof.

Das Buch ist geprägt von der Freundschaft zwischen diesen drei völlig unterschiedlichen Frauen. Seit Jules Geburt verknüpft sie ein besonderes Band. Das ist aber nicht immer leicht, denn Claudia fühlt sich zu Beginn des Buches auch von dieser starken Beziehung eingeengt. Im Lauf der Geschichte wird sie immer lockerer und schließlich gelangt sie zu einer entscheidenden Erkenntnis. Dieses Zitat hier drückt es wohl am Besten aus:

„Noch vor wenigen Wochen hatte sie geglaubt, sie sei sich selbst fremd geworden, sie habe sich verloren. Jetzt begriff sie, dass sie sich selbst in Wahrheit neu erfand. Alles brauchte eben seine Zeit.“

Die flirtbegeisterte Sara macht jedem Mann im Alten Land schöne Augen, womit sie sich keine Freunde macht. Ganz im Gegenteil, denn die Altländerinnen lassen sich ihre Männer nicht ausspannen und so ist Sara nirgendwo gern gesehen. Doch als eine schwangere Frau Saras Fähigkeiten als Hebamme benötigt, erhält sie plötzlich eine Chance aus ihrer jahrelangen Unzufriedenheit zu entkommen.

Jules Reitunfall und die daraus resultierenden Probleme und Gefühle, auch in der Beziehung zwischen Mutter und Tochter, machen neben der Freundschaft einen großen Teil des Buches aus. Zunächst lässt Jule niemanden an sich heran, vergräbt sich in ihrer Wohnung. Einzig ihre „Krüppel“-Freundin Ilka, wie diese sich selbst nennt, scheint sie zu verstehen. Ihrer Mutter Claudia gelingt es dann, sie zu überreden, auf den Apfelhof zu kommen, wo sie wieder ein Stückchen mehr zu ihrer alten Lebensfreude zurück findet.
Außerdem ist es immer wieder lustig zu lesen, wenn Jule oder irgendein Nachbar ein neues Tier anschleppt, das dringend wieder aufgepäppelt werden muss. Ein Schaf mit drei Beinen, Lotte, das alte Pferd von Johann van Sieck oder ein Schwein namens Schinken. Jule kriegt sie alle, denn sie ist einfach wahnsinnig tierlieb und hat ein großes Herz.

Johann van Sieck, der Apfelbauer vom Nachbarhof, hat von Anfang an ein Geheimnis, das spürte ich als Leserin sofort. Die Autorin lässt den Leser da auch eine ganze Weile lang zappeln und schafft es, diese Figur immer ein bisschen mehr in die Handlung einzubinden. Mit jedem Kapitel erscheint er präsenter, bis er schließlich gar nicht mehr wegzudenken ist. Und auch er hat, genau wie Jule, einen schweren Schicksalsschlag hinter sich.

Natürlich kommt auch dieses Buch nicht ohne Männer aus. Denn was wäre das Leben ohne die Liebe? Irgendwie ein bisschen farblos, finde ich. Und offenbar fand das auch die Autorin. Aber wie im echten Leben läuft auch das nicht ohne Missverständnisse und Gefühlschaos ab. Die Liebe findet dabei ganz selbstverständlich ihren Weg durch die Geschichte, ohne dass es zu „gewollt“ wirkt.

Alle Charaktere sind mit großem Einfühlungsvermögen beschrieben, jede Figur hat ihre Eigenheiten und Daseinsberechtigung und so konnte ich mich sehr gut in die einzelnen Personen hineinversetzen. Es ist ein richtiger Leseschmaus für die Seele, bei dem sogar die Hühner mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht werden! Die Namen derselben möchte ich hier nicht verraten, aber ich habe wirklich Tränen gelacht.

Brigitte Jansons Scheibstil ist geprägt von einem unglaublichen Wortwitz einerseits und andererseits von sehr viel Liebe zum Detail und zu ihren Protagonisten. In den zwei Tagen, die ich zum Lesen gebraucht habe, sind mir die Protagonisten so ans Herz gewachsen, dass dieses Buch einen Ehrenplatz bei mir erhält. Ich möchte es nicht mehr hergeben. „Winterapfelgarten“ ist einfach herzerwärmend, erfrischend ehrlich und fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite.

Die ideale Geschichte für kalte Winternächte, die man eingekuschelt auf dem Sofa verbringt.