Rezension

Spannend und vermutlich erschreckend nah an der Realität

American Dirt - Jeanine Cummins

American Dirt
von Jeanine Cummins

Bewertet mit 4.5 Sternen

Bei einem Familienfest werden bis auf Lydia und ihren achtjährigen Sohn Luca alle sechzehn Familienmitglieder ermordet. Die Beiden fliehen mit dem Ziel USA in dem Wissen, dass die Killer sie verfolgen.
Es ist die Geschichte einer Flucht, deren Weg kaum weniger gefährlich ist als diejenigen, die versuchen, Lydia und ihren Sohn zu fangen. Jeanine Cummins lässt ihre Figuren in der 3. Person erzählen, aber es ist keine Sicht von außen, sondern man erfährt beim Lesen unmittelbar, was Lydia, ihr Sohn Luca und Andere denken und fühlen. Auf diese Weise rückt das Geschehen sehr nahe und ich habe mich mehrmals dabei ertappt, wie ich die Luft anhielt.
Das Buch wurde in den USA sehr kontrovers diskutiert, was auch in Kritiken hier benannt wird, wobei ich über Manches nur den Kopf schütteln kann. Eine Mexikanerin mit einem amerikanischen Vornamen? Aber hallo, das geht ja gar nicht. Wenn ich da bei uns nur an die ganzen Luis, Natalies, Nico, Jasmins usw. denke. Oder der Vorwurf, dass Lydia nicht weiß, dass es in Mexiko City eine Eishalle gibt und dass sie sich im eigenen Land nicht auskennt. Tja, völlig unglaubwürdig, wenn man bedenkt, wie gut in Deutschland die Nordlichter den tiefsten Süden und Osten kennen bzw. andersrum, wobei Mexiko jedoch sechsmal größer ist als die BRD. Oder (jetzt hör ich aber auf ;-)) mexikanische Drogenkartelle kommen ja viel eher aus Honduras - da sollte vielleicht mal jemand etwas Zeitung lesen https://www.spiegel.de/panorama/justiz/mexiko-militaer-entwaffnet-polize... oder https://www.reporter-ohne-grenzen.de/mexiko
Keine Frage, das Buch hat sicherlich auch Schwächen. Beispielsweise, dass das Happyend allzu rosarot ausfällt oder der kleine Luca ein bisschen gar zu tapfer ist. Aber dieses Buch ist weder eine Dokumentation noch eine Biographie, sondern ein Spannungsroman mit dem Thema Flucht. Und erlaubt es einem nebenbei einen kleinen Einblick in eine Welt zu bekommen, wie wir sie nicht kennen und uns auch kaum vorstellen können. Genau dafür haben wir Schriftstellerinnen und Autoren. Und wer es ganz genau wissen will, greift zu Reportagen und Sachbüchern.
PS: Wer wirklich glaubt, dass das Bild von Mexiko in diesem Buch maßlos ins Negative übertrieben ist, lese diesen grandiosen Roman: Gebete für die Vermissten von Jennifer Clement. Die Autorin ist zwar auch US-Amerikanerin, lebt und arbeitet aber seit Jahren in Mexiko.