Rezension

Spannend wie ein Krimi

Afghanistans verborgene Töchter - Jenny Nordberg

Afghanistans verborgene Töchter
von Jenny Nordberg

Bewertet mit 5 Sternen

Diese Reportage ist zwischen 2009 und 2014 in Afghanistans entstanden und führt uns in eine Zeit, die ans Mittelalter erinnert.

Aufgerollt an der Geschichte von Azita, die es bis zur Abgeordneten in Kabul gebracht hat, erzählt uns Jenny Nordberg in diesem Buch von afghanischen Frauenschicksalen. Sie führt uns in eine völlig fremde Kultur ein und ich hatte beim Lesen das Gefühl, mich plötzlich im Mittelalter zu befinden. Mädchen gelten in diesem Land oft als „dumm von Geburt“ und auf Seite 64 steht, dass Frauen „nicht vernunftbegabt“ sind und daher „einem Tier gleich kommen“.

„In Afghanistan muss man sein Inneres abtöten und sich an die Gesellschaft anpassen. Nur so kann man überleben“ (Seite 88).

Die einzige Aufgabe von Frauen ist das Gebären vieler Nachkommen  („alles vor der Pubertät dient nur der Vorbereitung auf die Fortpflanzung“ - Seite 42) und Töchter gelten weniger als Söhne. Familien mit vielen Mädchen und keinem Sohn kommen ins gesellschaftliche Abseits, werden denunziert. Um dieser Brandmarkung zu entgehen, wird eines der Mädchen in Jungenkleider gesteckt und bekommt all die Freiheiten der männlichen Nachkommen. Sie dürfen unbeschwert draußen spielen, Sport treiben, andere offen anschauen und lernen, sich ungehindert durch Konventionen in der Gesellschaft zu bewegen. Erst mit Beginn der Pubertät werden diese basha posh zurückverwandelt und müssen sich dann ins Haus zurückziehen, um ihren weiblichen Charakter zu entwickeln.

Die Autorin hat sich mit unterschiedlichen Altersgruppen unterhalten. Während sie kleine Wildfänge nur von außen beobachtete, erfuhr sie von Jugendlichen, die sich weigerten, zu Mädchen zu werden. Zahra möchte beispielsweise nie eine afghanische Frau werden. „Das sind Bürger zweiter Klasse“, erklärt sie, „immer an die Männer gebunden und von ihnen beherrscht.“ Manche dieser basha posh müssen, wenn sie von den Eltern verheiratet werden, sehr mühsam das Frausein lernen. So wie Shukria, die plötzlich nur noch in Burka auf die Straße darf, aber dennoch wegen ihrer guten Ausbildung als Krankenschwester den Unterhalt der Familie bestreitet. Nader dagegen hat es geschafft, auch als 35jährige noch „frei“ zu sein. Heiraten will sie nicht: „Ich will in kein Gefängnis“ (Seite 252).

Dank gründlicher Recherche und dem Versuch einer Analyse von allgemeinen Unterschieden zwischen Mann und Frau ist der Autorin ein umfassendes Werk gelungen. Sie hat das Phänomen geschichtlich und geografisch aufgegriffen und erklärt, warum in Ländern mit strenger Geschlechtertrennung Frauen der Weg zur Bildung verwehrt wird. 

Dieses Buch hat mich tief beeindruckt. Anfangs konnte ich nur kleine Abschnitte verdauen, doch ab etwa der Hälfte las ich es wie einen spannenden Krimi. Ich habe sehr viel neues über eine mir völlig fremde Kultur erfahren und möchte es nicht nur Frauen ans Herz legen, die mit ihrem Leben unzufrieden sind.