Rezension

Spannende Freundschaftsanalyse

Blut will reden - Walter Kirn

Blut will reden
von Walter Kirn

Bewertet mit 4 Sternen

Der Autor berichtet, wie er im Jahr 1998 Clark Rockefeller, einen Erben der berühmten Rockefeller-Dynastie kennen lernt. Dieser Mann fasziniert ihn und eine jahrelange Freundschaft beginnt. Voller Unglauben erfährt Walter Kirn im Jahr 2008 durch die Nachrichten, dass Clark Rockefeller wegen Entführung seiner Tochter verhaftet wurde. Während der Durchsuchung seiner Wohnung wird deutlich, dass Clark Rockefeller eigentlich Christian Karl Gerhartsreiter heißt. Einen Clark Rockefeller hat es nie gegeben, sondern nur einen deutscher Einwanderer, der seit Jahren unter verschiedenen Identitäten  in den USA lebt. Im Jahr 2013 wird er außerdem wegen Mordes an seinem Nachbarn im Jahr 1985 vor Gericht gestellt und verurteilt.  
Walter Kirn ist bei der Gerichtsverhandlung anwesend. Er reflektiert dabei, wie es dazu kommen konnte, dass er über ein Jahrzehnt mit einem Mann befreundet war, den er eigentlich gar nicht kannte.
Meine Meinung: Walter Kirn schildert sehr reflektiert und ehrlich wie er der Täuschung Clark Rockefellers unterliegen konnte. Er berichtet von seinen persönlichen Schwächen und seinen Eitelkeiten, was das Buch zu einer Interessanten psychologischen Studie werden lässt. In den Kapiteln schildert Kirn einen Teil der Verhandlung, um anknüpfend an Zeugenaussagen oder eigenen Beobachtungen gedanklich in die Vergangenheit zu reisen und besondere Erlebnisse mit Clark zu beleuchten. Kirn bezieht auch die anderen Getäuschten mit in seine Betrachtungen ein und nimmt diese Personen dabei sehr ernst – dies ist die große Stärke dieses Buches: durch die Perspektive derjenigen, die Clarke Rockefeller (oder eine seiner anderen Charaktere) faszinierend fanden, beschrieben – wird der „ich-hätte-es-sofort-gemerkt-Reflex“ nicht ausgelöst. Man bleibt gemeinsam mit dem Autoren zurück und guckt auf seine eigenen Eitelkeiten und Beziehungswünsche.
Ein sehr interessantes und lesenswertes Buch – einzige Einschränkung: wer den im Klappentext beschriebenen „Thriller“ erwartet, der ist hier falsch, ebenso wie derjenige, der mehr über Clarke Rockefeller und seine Motive erfahren möchte. Hier geht es einzig und allein um die persönliche zwischenmenschliche Begegnung.