Rezension

Spannende Geschichte in gefakter mittelalterlicher Umgebung

Das Auge von Licentia - Deana Zinßmeister

Das Auge von Licentia
von Deana Zinßmeister

Bewertet mit 3 Sternen

Bewertet mit 5 Sternen

Die 15-jährige Jonata wächst in einem sich selbstversorgenden Dorf Licentia im Mittelalter auf. Sie weiß nicht, dass die erwachsenen Dorfbewohner der Zivilisation müde geworden waren und sich von einem Fernsehsender in ein künstlich geschaffenes Mittelalter umsiedeln ließen. Das Dorfleben ist Gegenstand einer Fernsehshow.

Vor zehn Jahren gab es eine heftige Auseinandersetzung in dem Dorf, in Folge dessen sich eine Gruppe abspaltete. Diese sogenannten Wolfsbanner leben ein paar Kilometer entfernt in einer gleichfalls mittelalterlichen Umgebung, aber ohne Teil der Fernsehshow zu sein. Beide Gruppen meiden jeden Kontakt zueinander. Die Erwachsenen erzählen ihren Kinder Horrorgeschichten vom jeweils anderen Dorf.

Jonata trifft zufällig Tristan, einen Jungen der Wolfsbanner, im Niemandsland zwischen den Dörfern, das eigentlich von keinem betreten werden darf. Beide verlieben sich Hals über Kopf ineinander und halten ihre Liebe vor den Erwachsenen geheim. Jonata weiht nur ihre beste Freundin ein, die alles andere als erfreut ist und Tristan als bedrohlich ansieht.

Ganz neu ist der Grundgedanke des Buches nicht. Vielmehr greift die Autorin beherzt auf das Motiv der Truman-Show zurück, ergänzt es um  Ideen aus The Village und den Tributen von Panem und reichert es an um den Konflikt aus Romeo und Julia. Das alles wird solange geschüttelt und gerührt bis doch etwas Eigenständiges entsteht. Letztlich sind alle Anleihen bewerte Motive und so gewinnt die Autorin zwar keinen Preis für originäre Kreativität, schafft aber einen aufregenden Rahmen für ihre Geschichte. Die mittelalterliche Umgebung wird plastisch beschrieben, auch mit einer zeittypischen, die individuelle Freiheit stark einschränkenden Religiosität. Nicht immer ist alles historisch korrekt, so liest Johanna wie selbstverständlich in einem Buch, obwohl der Buchdruck erst am Ende des Mittelalters erfunden wurde und Bücher in der einfachen Bevölkerung erst ein paar Jahrhunderte später  verfügbar waren.

Das tut der Lesefreude aber keinen Abbruch. Ein häufiger Perspektivenwechsel in den vielen kurzen Kapiteln lässt Spannung aufkommen. Immer wenn eine offene Frage beantwortet wird, taucht eine neue Andeutung auf, die den Leser neugierig auf das weitere Geschehen macht. Der Schreibstil ist sehr flüssig, so dass sich das Buch angenehm schnell lesen lässt. Die Romanze bricht heftig über die beiden Teenager herein, bleibt sehr unschuldig und wurde nach meinem Empfinden von der Autorin sehr einfühlsam beschrieben. Schön, häufig nacheinander erst die Perspektive des einen und dann die Perspektive des anderen zu erleben.

Interessant ist eine zweite Handlungsebene im Fernsehsender. Die handelnden Personen haben das Geschehen keinesfalls hundertprozentig unter Kontrolle und sind sich zudem untereinander auch nicht immer einig. Stilistisch greift die Autorin häufig darauf zurück, den E-Mailverkehr abzudrucken, insbesondere zwischen dem Produktionsleiter und seinem Chef, einem russischen Oligarchen. Das beinhaltet einige sehr komische Momente.

Es spricht für das Buch, dass ich es in drei Tagen verschlungen habe. Leichte Abzüge gibt es für ein Ende, bei dem der moralische Kompass nicht immer genau in die Richtung zeigt, die ich mir gewünscht hätte, und in dem eine wichtige Frage offen bleibt. Das ergäbe vier von fünf Sternen. Einen Zusatzstern vergebe ich für ein geniales Cover, optisch überaus gelungen, mit einem direkten Bezug zum Inhalt. Spontan fällt mir kein Cover ein, dass mir besser gefällt. Daher mein Gesamturteil: 5 Sterne.