Rezension

Spannende und einfühlsame Geschichte einer Flucht [Bonus: Vergleich mit Gyasi, Heimkehren]

Underground Railroad
von Colson Whitehead

Bewertet mit 5 Sternen

Zusammen mit der jungen Sklavin Cora begibt sich der Leser auf die Flucht durch die Südstaaten der USA. Die Handlung spielt (vermutlich) Mitte des 19. Jahrhunderts.

Die titelgebende Underground Railroad, das illegale Netzwerk, das wirklich Sklaven auf der Flucht geholfen hat, wird hier sehr fiktiv und auch nur als Nebenschauplatz dargestellt. Im Buch handelt es sich um eine Eisenbahn, die unter der Erde fährt, was so natürlich nicht geschehen ist. Diese Darstellung ist einerseits etwas schade, da ich gerne mehr über das Netzwerk erfahren hätte, andererseits rücken durch diese fiktive, unaufgeregte Umsetzung die Menschen und die Lebensumstände der Schwarzen in den USA in den Fokus. Das Amerika - vor allem die Südstaaten - vor dem Bürgerkrieg wird hier verdichtet in vielen Facetten dargestellt.

Da die Darstellung der Underground Railroad fiktiv ist, habe ich mich gefragt, wie nah an der Realität die restlichen Schilderungen im Roman sind. Die Sklaverei wird brutaler dargestellt, als ich es je zuvor gelesenen habe - in der Annahme, dass es wirklich verbreitet solche Vorkommnisse gab, wie sie hier beschrieben sind, ist die Darstellung manchmal an der Grenze des Erträglichen. Hier wird nichts geschönt oder ausgelassen. Auch der Alltag der (vermeintlich) freien Schwarzen wird meiner Einschätzung nach mit Alltagsrassismus und Diskriminierungen sehr treffend dargestellt.

Die Wurzeln des Rassismus in den heutigen USA und der dort teilweise immer noch herrschende Rassentrennung wurden für mich durch diesen Roman erklärbar (was beides aber natürlich nicht rechtfertigt).

Definitiv ein lesenswertes Buch! Colson Whitehead hat eine einfühlsame, aber auch spannende Geschichte geschrieben. Für Laien in amerikanischer Geschichte hätte ich mir allerdings noch eine historische Einordnung der wahren Geschehnisse als Nachwort gewünscht.

***

Ein Vergleich zum anderen großen aktuellen Roman über Sklaverei bietet sich hier natürlich an. Yaa Gyasis "Heimkehren" ist in meinen Augen ebenfalls ein grandioses Buch zum Thema, geht dieses aber völlig anders an. Sie setzt in ihrem Roman einen Fokus auf Afrika und die Entwicklung einer Familie über mehr als 200 Jahre, während bei Colson Whitehead sich die Handlung auf die USA und eine einzelne Person bezieht. Der weiße Blickwinkel spielt bei Yaa Gyasi keine Rolle, während Colson Whitehead auch diesen beleuchtet. Ich lege dem interessierten Leser beide Bücher ans Herz.