Rezension

Spannende und unterhaltsame Geschichte

Rheinblick - Brigitte Glaser

Rheinblick
von Brigitte Glaser

Bewertet mit 4.5 Sternen

1972, Wahlsonntag in Bonn. Die SPD mit Kanzlerkandidat Willy Brandt fährt einen überragenden Sieg ein und nun stehen in Bonn die Koalitionsverhandlungen an – doch Brandt muss sich einer Operation unterziehen. Logopädin Sonja, die in einer Bonner WG lebt, soll ihm helfen und versucht gleichzeitig die jüngere Schwester, die ausgerissen ist, zu finden. Hilde Kessel dagegen hat ganz andere Probleme. Die Betreiberin des bei Politikern sehr beliebten „Rheinblick“ wird in politische Verstrickungen reingezogen und droht sich in dem Schlamassel zu verheddern. 

Nach einer recht kurzen Eingewöhnungszeit und dem Kennenlernen der wichtigsten Charaktere, konnte ich das Buch kaum mehr aus den Händen legen. Es handelt sich um eine fiktive Geschichte, unterfüttert mit allgemein bekannten Fakten zur Politik, die sich theoretisch genauso hätte zutragen können, was die Geschichte sehr spannend für mich machte. 
Wer spielt Spielchen? Wer verrät und verkauft einen Dritten? Ist die Politik wirklich so ein dreckiges Geschäft, wie es an vielen Stellen den Eindruck macht? Wie schnell wird man in etwas reingezogen? Lauern wirklich immer überall Intrigen? Alles Fragen, die mich unheimlich angetrieben haben. 

Gut dargestellt finde ich auch die Zeit und den Zeitgeist – zumindest entspricht er dem, was ich mir darunter vorstelle. Ich bin selbst Kind der 80er und kann es daher nicht aus eigenem Erleben beurteilen. In Bonn war ich schon öfter und hatte daher meist ein Bild vor Augen, wenn von der Innenstadt die Rede war. Sehr schön ausgearbeitet sind die verschiedenen Charaktere – allen voran Wirtin Hilde vom Rheinblick und Logopädin Sonja, die Willy Brandt nach einer Operation helfen soll. Je weiter die Geschichte voranschritt, desto interessanter wurde die WG samt Bewohnern und man fieberte mit, sei es bei der jungen Journalistin Lotti oder dem Hallodri Max. 
Unterhaltsam fand ich auch den Strang mit dem Mord an einem jungen Mädchen. Welche Verwicklungen dazu führten war ebenfalls spannend, wenn auf anderer Ebene als die politischen Ränkespielchen. Die Hintergründe habe ich so nicht erwartet – echt toll konstruiert!

Die Zeit war politisch spannend, von Brandts Kehlkopfoperation wusste ich ehrlich gesagt vorher nichts (ich habe mich beim Lesen gefragt, warum ich im Sozialkundeunterricht nie hinterfragt habe, warum er nicht bei den Koalitionsverhandlungen teilgenommen hat…) und vieles, was wir heute nicht nur kennen, sondern alltäglich geworden ist, steckt da gerade in den Kinderschuhen, z.B. Logopädie, Akupunktur. 

Natürlich benötigt man ein gewisses Interesse an Politik, um an dem Buch Gefallen zu finden, großartige Vorkenntnisse benötigt es allerdings nicht. Dank eines Glossars am Ende des Buches werden möglicherweise noch offene Fragen geklärt (ich habe es erst entdeckt, als ich das Buch beendet hatte, aber ich hatte es auch nicht benötigt). 

Der Schreibstil ist rund und flüssig. Die Perspektiven wechseln immer wieder, sodass die Geschichte sehr lebendig wird. 

Ich empfehle das Buch gerne!