Rezension

Spannender Auftakt der Rizzoli-&-Isles-Reihe

Die Chirurgin
von Tess Gerritsen

Bewertet mit 4.5 Sternen

Inhalt:

Als Detective Thomas Moore in die Rechtsmedizin gerufen wird und im Autopsiesaal die Leiche von Elena Ortiz sieht, werden bei ihm sofort Erinnerungen an einen ähnlichen Mordfall wach, der ein Jahr zurückliegt und den er bislang nicht aufklären konnte. Die Parallelen sind unübersehbar, denn beiden weiblichen Mordopfern wurde die Kehle durchgeschnitten, nachdem ihnen der Mörder, solange sie noch am Leben waren, mit einem Skalpell den Uterus entfernt hatte. Da beide Frauen auf dieselbe Weise getötet wurden, ist auch Moores Kollegin Jane Rizzoli davon überzeugt, dass in Boston ein gefährlicher Serienmörder sein Unwesen treibt. Der Täter, der eindeutig über gute anatomische Kenntnisse und ein profundes medizinisches Fachwissen verfügt, wird von der Presse sogleich nur „der Chirurg“ genannt.
Bei ihren Ermittlungen stoßen Moore und Rizzoli bald auf eine ähnliche Mordserie in Savannah, die jedoch bereits drei Jahre zurückliegt. Der Täter in Savannah hatte seine Opfer damals auf ähnliche Art gefesselt, betäubt und sie ebenfalls einem gynäkologischen Eingriff unterzogen, bevor er sie schließlich tötete. Die Übereinstimmungen mit den Morden in Boston sind auffallend, aber Andrew Capra, der Täter von damals, hat das beste Alibi, das jemand haben kann – er ist tot. Er wurde von seinem letzten Opfer, der Chirurgin Catherine Cordell in Notwehr erschossen, bevor er auch sie töten konnte. Catherine leidet nach wie vor unter den traumatischen Erlebnissen, die sie in jener Nacht durchleiden musste, will aber mit niemandem über ihre Verletzungen reden und versucht ihre Erinnerungen abzustreifen, indem sie Savannah inzwischen verlassen hat und sich in ihre Arbeit flüchtet.
Die grausamen Details über Andrew Capras Taten gelangten nie an die Öffentlichkeit, aber dennoch scheint jemand genau zu wissen, wie er seine Morde verübte und kopiert ihn nun exakt. Ist Capra vielleicht gar nicht tot? Hatte er einen Mitwisser, der ihn jetzt nachahmt und sein Werk vollendet? Rizzoli und Moore tappen lange im Dunkeln, bis sie schließlich eine Verbindung zwischen den Opfern finden. Sie müssen den Täter unbedingt fassen, bevor dieser erneut einen Mord begehen kann, zumal der sein nächstes Opfer bereits wissen lässt, dass sie sein eigentliches Ziel ist – Catherine Cordell.

Meine persönliche Meinung:

Tess Gerritsen hat einen raffinierten Plot konstruiert, der stimmig, schlüssig und vor allem unvorhersehbar ist. Gemeinsam mit den Ermittlern tappt man als Leser zunächst vollkommen im Dunkeln und versucht dem grausamen Serienmörder auf die Spur zu kommen. In einem weiteren Handlungsstrang begleitet man Catherine Cordell in ihrem Klinikalltag, in erster Linie aber bei ihrer Aufarbeitung der schrecklichen Ereignisse in ihrer Vergangenheit. Außerdem bekommt man in Passagen, die aus der Sicht des Täters geschildert werden, sehr tiefe Einblicke in die perversen Gedanken und Phantasien dieses psychopathischen, aber erschreckend intelligenten Serienmörders. Diese Sequenzen empfand ich als besonders verstörend, denn mit welchen Begründungen er seine grausamen Taten zu rechtfertigen versucht, ist äußerst abstrus. So verweist er dabei zum Beispiel auf antike Rituale und die griechische Mythologie, wie etwa die Opferung der Iphigenie durch ihren Vater Agamemnon. Obwohl man nicht die leiseste Ahnung hat, wer der Mörder ist, weiß man jedoch, dass er seinem nächsten Opfer, Catherine Cordell, auf die er auf geradezu krankhafte Weise fixiert ist, gefährlich nahe ist.
Doch schenkt Tess Gerritsen nicht nur der Psyche des Täters große Aufmerksamkeit, sondern hat alle Charaktere sehr präzise und vor allem glaubwürdig ausgearbeitet. Die Person, die mich am meisten berührt hat, war Catherine Cordell, denn ihr Schicksal ist wirklich erschütternd. Sehr authentisch und ergreifend wird anhand dieser Protagonistin deutlich, welche psychischen Qualen Frauen nach einer Vergewaltigung ertragen müssen und welche Spuren eine solche Tat auf der Seele der Opfer hinterlässt. Auch wenn mir Jane Rizzolis etwas ruppige Art hin und wieder auf die Nerven ging, hat die Autorin auch mit ihr eine sehr facettenreiche Protagonistin geschaffen. Besonders ans Herz gewachsen ist mir aber Detective Thomas Moore, denn leider findet man im Krimigenre nur sehr selten so feinfühlige, sensible, ruhige, besonnene und verständnisvolle männliche Ermittler wie ihn.
Tess Gerritsen wird häufig vorgeworfen, ihre Bücher seien zu blutig und brutal. Tatsächlich fließt in Die Chirurgin recht viel Blut, aber anders als in vielen anderen Büchern dieses Genres empfand ich dies nicht als störend, eklig oder als pure Effekthascherei, denn trotz der teilweise recht brutalen Passagen ist dieser Thriller kein billiger Splatter, sondern kann neben der wirklich nervenaufreibenden Spannung auch mit Tiefgang aufwarten, indem er in erster Linie Einblicke in menschliche Schicksale und psychische Abgründe gewährt.
Als etwas störend empfand ich lediglich die teilweise recht ausführlichen medizinischen Details, zumindest wenn diese nichts mit dem eigentlichen Handlungsverlauf zu tun hatten und nicht zur Aufklärung der Mordfälle beitrugen. Man merkt deutlich, dass Tess Gerritsen Medizin studiert und als Internistin gearbeitet hat, aber ihre Ausführungen über den Klinikalltag und die detaillierten Beschreibungen von Operationen an Patienten, die für die Handlung vollkommen ohne Belang sind, waren meines Erachtens unnötig und etwas langatmig.
Ansonsten hat mir dieser Thriller jedenfalls erneut sehr gut gefallen und war so unglaublich spannend, dass ich mich jetzt umso mehr auf den zweiten Band der Reihe, Der Meister, freue.