Rezension

Spannender frankophiler Kriminalroman mit spritzigem Lokalkolorit

Retour - Alexander Oetker

Retour
von Alexander Oetker

Bewertet mit 5 Sternen

Zurück zu den Wurzeln

Ein spannender frankophiler Kriminalroman mit viel Lokalkolorit – packend, bewegend und spritzig zugleich? Debütautor Alexander Oetker zeigt, wie es geht und legt mit Retour ein erfolgversprechendes Erstlingswerk vor, dessen Protagonist alle Attribute eines Kultkommissars besitzt. Commissaire Luc Verlain, Bon Vivant und Ladies‘ Man, liebt seinen Job als Leiter der 2. Pariser Mordkommission und genießt sein Leben in der pulsierenden französischen Metropole in vollen Zügen. Er hat ein Faible für exquisites Essen, Schweizer Zigaretten, schnelle Autos und schöne Frauen, die er gerne des Öfteren wechselt, denn eine feste Beziehung kommt für den überzeugten Junggesellen nicht in Frage.

Sorgenvolle Rückkehr

Als sein Vater, ein Austernfischer, unheilbar an Krebs erkrankt, ist es vorbei mit Lucs locker-leichtem Lebensstil. Da er ihn in seinem fragilen Zustand nicht allein lassen möchte, bittet Luc um zeitweilige Versetzung in seine alte Heimat Bordeaux (Region Aquitaine), die er vor ca. 15 Jahren als junger Polizist verlassen hatte, weil sie ihm zu provinziell und spießig erschien und er in Paris Karriere machen wollte, was ihm dann auch gelang. Sein Weg zurück nach Hause erfüllt ihn mit Unbehagen: Der nahende Tod seines Vaters bestürzt ihn, alte Erinnerungen, die er nur zu gerne beiseite geschoben hatte, kommen wieder hoch. Aber kaum angekommen, fühlt er sich, als wäre es nie weg gewesen. Alles ist so vertraut – die Umgebung, das Meer, die Menschen, die ihn freudig begrüßen, sogar seine Lieblingsläden sind noch da: Jacques‘ kleine Boulangerie und sein Lieblingsrestaurant La Plage, wo Patron Gaston mit seiner deutschen Frau noch immer lokale Köstlichkeiten serviert.

Mord am Strand

Aber viel Zeit zur Wiedereingewöhnung bleibt Luc nicht. Sein alter und neuer Chef Preud’homme erwartet seinen ehemaligen Lieblingsschüler schon voller Vorfreude, um ihn seinem neuen Team vorzustellen: Commandante Anouk Filipetti, die Luc auf Anhieb sympathisch und sehr attraktiv findet, Brigadier Hugo Pannetier, ehemaliges Mitglied der Spezialpolizei und der Mann fürs Grobe und Commissaire Etxeberria, gleichgestellter Leiter der Abteilung. Alle heißen ihn herzlich willkommen, bis auf Etxeberria, der keinen Hehl daraus macht, wie wütend er darüber ist, dass man ihm Luc vor die Nase gesetzt hat. Er fühlt sich übergangen und steht seinem neuen Kollegen äußerst feindselig gegenüber.

Doch dann geschieht ein Mord in der beschaulichen Region, der alle Eitelkeiten in den Hintergrund rücken lässt. Am Morgen nach einem Fest findet man die 17-jährige Caroline Derval tot am Strand. Luc und seinem Team bietet sich ein Bild des Grauens: Das Mädchen wurde brutal erschlagen – alles deutet auf eine Tat im Affekt. Während Carolines Mutter und ihr Stiefbruder Thomas die Todesnachricht tief erschüttert aufnehmen, hat ihr Vater, ein gewalttätiger Rassist, sofort den Schuldigen parat: Carolines Ex-Freund, der vorbestrafte Algerier Hakim, der die Trennung nie verwinden konnte.

Hexenjagd

Commissaire Etxeberria springt nur zu gern auf diesen Zug auf und lässt Hakim ohne Rücksprache mit Luc verhaften, nachdem man Blut auf der Kleidung des Jungen gefunden hatte. Luc ist außer sich und geht in die offene Konfrontation mit seinem Kollegen. Dieser ist jedoch völlig uneinsichtig und informiert – unüberlegt und vorschnell – die Presse über Hakims Verhaftung. Damit bringt er eine Lawine ins Rollen, denn als man Hakim mangels Beweisen wieder auf freien Fuß setzt, beginnt eine gnadenlose Hexenjagd auf den Jungen, der verzweifelt seine Unschuld beteuert. Luc und sein Team geraten in Lebensgefahr, als sie versuchen, Hakim vor dem aufgebrachten Mob zu beschützen und den wahren Täter zu entlarven, der scheinbar keine einzige Spur hinterlassen hat…

Spannender frankophiler Kriminalroman mit spritzigem Lokalkolorit

Mit Retour ist Alexander Oetker ein vielversprechender Start seiner Krimireihe um Commissaire Luc Verlain geglückt (Band 2 soll bereits in Arbeit sein). Auch wenn Verlain zunächst wie das personifizierte Männer-Klischee daherkommt, so ist Oetkers Protagonist doch weit davon entfernt, ein Stereotyp zu sein, denn auch bei ihm ist nicht alles easy-going. Unter seiner charmanten Oberfläche brodelt es des Öfteren, ein Trauma verfolgt ihn seit Jahren und lässt ihn nicht los. Mitzuerleben, wie sich Verlain weiterentwickelt ist ebenso spannend wie der rätselhafte Mordfall, den es zu lösen gilt.

Auch die anderen Figuren sind Oetker gut gelungen, allen voran Lucs Bordeaux-Team: Die selbstbewusste, natürliche Anouk, die das krasse Gegenteil von Verlains verwöhnten Geliebten ist, der bodenständige Hugo, der für seinen Job lebt und der gewöhnungsbedürftige Querkopf Etxeberria, der nicht nur Verlain mit seinen überhasteten Entscheidungen und Vorurteilen gehörig auf die Nerven geht.

Die Story ist spannend und dramatisch, plätschert aber zugleich auch so leicht und spritzig daher, dass Urlaubsstimmung aufkommt. Eine solche Dualität umzusetzen, ist prinzipiell schwierig, doch Oetker gelingt diese Gratwanderung. Bei Lektüre merkt man schnell, wie sehr Frankreich – und die französische Lebensart – dem Autor am Herzen liegen und wie gut er das Land, die politische Situation und die sozialen Verhältnisse dort kennt. Erschreckend real fängt er auch die steigende fremdenfeindliche Stimmung in Frankreichs sozialen Brennpunkten ein, die beängstigt.

All diese Aspekte machen den Roman zu einem fesselnden Leseerlebnis und zum verheißungsvollen Beginn einer neuen Romanserie, deren Erfolg meines Erachtens schon vorprogrammiert ist. Mein Fazit: Sehr empfehlenswert!