Rezension

Spannender, historischer Krimi klassischer Art

Graue Nächte - Arnaldur Indriðason

Graue Nächte
von Arnaldur Indriðason

Bewertet mit 4 Sternen

Auf der aktuellen Welle historischer Kriminalromane aus jüngerer Geschichte schwimmt inzwischen auch Arnaldur Indriðason (57) recht erfolgreich mit, der durch seine frühere Krimireihe um Kommissar Erlendur zu Islands führendem Bestseller-Autor wurde. Nach dem ersten Band „Der Reisende“ um den isländischen Kommissar Flóvent und seinen Kollegen, den kanadisch-amerikanischen Militärpolizisten Thorsen, die gemeinsam mörderische Kriminalfälle auf der Insel zur Besatzungszeit während des Zweiten Weltkriegs aufzuklären haben, erschien nun im Dezember mit „Graue Nächte“ der zweite Band dieser neuen Krimireihe.

Es ist Frühling 1943 in Reykjavik, die politische Lage ist angespannt, Island ist von den Amerikanern besetzt. Am Strand nahe einer berüchtigten Soldatenkneipe wurde eine männliche Leiche, anscheinend ein junger US-Soldat, angespült. Offensichtlich wurde er ermordet. Zeitgleich müssen sich Flóvent und Thorsen, der dank seiner isländischen Abstammung die Landessprache beherrscht, in einem zweiten Fall ermitteln: Eine Frau, die sich oft und allzu leichtsinnig mit den Besatzungssoldaten amüsiert hatte, ist spurlos verschwunden.

Zwischendurch lesen wir von Geschehnissen, die sich, ohne dass dies durch konkrete Jahresangabe deutlich gemacht wird, schon zwei Jahre zuvor im Kriegswinter 1941 zugetragen haben: Auf einer von den Deutschen genehmigten Transferfahrt eines isländischen Schiffes durch den von U-Booten umkämpften Nordatlantik kehren Isländer aus dem von der Wehrmacht besetzten Dänemarkt sowie aus skandinavischen Nachbarländern in die Heimat zurück. Der Medizinstudent Osvaldur wurde allerdings kurz vor der Abfahrt von der Gestapo verhaftet, so dass seine Freundin ohne ihn reisen muss. Einer seiner Kommilitonen geht während der Schiffsreise ohne erkennbaren Grund über Bord.

Arnaldur Indriðason, vielfach ausgezeichneter Schriftsteller, dessen Krimis in 40 Sprachen übersetzt wurden, macht uns in seinem Roman mit der nordischen Insel, ihrer schroffen, scheinbar ungastlichen Landschaft und ihren eigenwilligen, zum Leidwesen beider Ermittler recht wortkargen Bewohnern vertraut. Zudem versteht er es ausgezeichnet, in leicht lesbarem Schreibstil die gleichermaßen für Besatzer wie für die Isländer komplizierte Lage damaliger Besatzungsjahre atmosphärisch nachvollziehbar wiederzugeben.

„Graue Nächte“ ist wie zuvor „Der Reisende“ keiner der gegenwärtig aus Skandinavien kommenden, überwiegend bluttriefenden Psychothriller, sondern besticht durch seine ruhige Erzählweise. Es ist ein spannender, historisch interessanter und sauber gearbeiteter Krimi klassischen Stils, in der die schwierige Aufklärungsarbeit beider Ermittler sachlich und wirklichkeitsnah geschildert wird. Bei Indriðason gibt es keine Superhelden. Die Ermittler zeigen manche Schwäche, zumal beide noch recht jung und in der kriminalistischen Arbeit unerfahren sind.

Irritierend mag die Verknüpfung der beiden um zwei Jahre verschobenen Handlungsstränge sein, die nebeneinander geschildert werden. Doch führt dies nach anfänglicher Irritation bei weiterer Lektüre eher zu erhöhter Aufmerksamkeit. „Graue Nächte“ ist ein spannender Roman - besonders für Liebhaber klassischer Krimis.