Rezension

Spannender Rückblick in die Siebziger Jahre

Unser kostbares Leben -

Unser kostbares Leben
von Katharina Fuchs

Bewertet mit 5 Sternen

Die 70-er und beginnenden 80-er Jahre - und ihre Auswirkungen bis heute

Der Roman "Unser kostbares Leben" von Katharaina Fuchs" begleitet seine 3 Protagonistinnen durch ihre Jugend. Im ersten Teil, 1972, sind diese gerade einmal 10 Jahre alt. Die Teile 2 und 3 spielen 1976 und 1980 (-1983). Ein letzter Ausblick des Romans ist 2021 mitten in der Corona-Pandemie angesiedelt und verbindet die Geschehnisse des Romans mit der Gegenwart.

Minka und Caro, beste Freundinnen in einem kleinen hessischen Städtchen, wachsen wohlbehütet als Töchter des Bürgermeisters und des örtlichen Schokoladenfabrikanten auf. Das häusliche Klima ist geprägt durch die SPD- bzw. CDU-Mitgliedschaft der Väter. Ihre Freizeit verbringen die Mädchen im ortseigenen Freibad - bis zu dem Tag, an dem ihr aus Vietnam stammender Klassenkamerad in diesem Freibad verunglückt und in der Folge aus dem Städtchen verschwindet. Zeitgleich trifft die dritte Protagonistin Claire als Waisenkind des Vietnamkriegs im örtlichen Kinderheim ein.

Politische Bewegungen der Zeit, der Vietnamkrieg, das beginnende Bewusstsein der Mädchen für Tier- und Umweltschutz, der in den Teilen 2 und 3 eine große Rolle spielt und die Leben der Mädchen prägt, werden hier als Themen ausgebreitet.

Die 70-er Jahre mit allem, was dazugehört an Möbel-, Musik- und Lebensstil, werden plastisch dargestellt, vielleicht an mancher Stelle schon zu plakativ.
Formal ist der Roman in zahlreiche Kapitel unterteilt, die jeweils mit den Namen der Personen überschrieben sind, aus deren Perspektive das Kapitel erzählt wird. Allen Kapiteln ist zu eigen, dass sie abrupt enden - und der eigentliche Schluss der jeweiligen Handlung nicht erzählt wird, sondern man diesen aus der Wiederaufnahme der Erzählung an anderer Stelle oder zu anderer Zeit erschließen muss. So bleiben einige wesentliche Stellen der Handlung allein der Fantasie des Lesenden überlassen, was bei manchem zu Enttäuschung führen mag. An der ein oder anderen Stelle wünscht man sich, den Fortgang der Handlung präsentiert zu bekommen.

Die völlig unterschiedlichen Entwicklungen der 3 Protagonistinnen sind authentisch dargestellt.
Völlig überzeugt hat mich der Roman erst nach der vollständigen Lektüre: Was mir zunächst als nette und manchmal zu plakative Darstellung der Vergangenheit erschien, bekommt nach dem Lesen der letzen Kapitel eine ganz neue Dimension: Der Einzug der Grünen in den Bundestag im Jahr 1983 als Folge der Entwicklungen der vergangenen Jahre prägt bis heute unsere Politik, unsere Gesellschaft, unser Bewusstsein.
Und die naturwissenschaftlichen Forschungen, die in den Siebziger Jahren - auch mit Medikamenten-Experimenten an Heimkindern - ihren Anfang nahmen, haben mit dazu beigetragen, dass heute PCR-Tests und MRNA-Impfstoffe Teil unseres Alltags sind.

So kann ich nur schließen: Wieder einmal ein beeindruckender Roman von Katharina Fuchs, der hilft, einen Teil unserer eigenen Geschichte, Politik, Gesellschaft zu verstehen, weit über die "Geschichtsstunde" hinaus. Und die Lektüre der kurzweiligen und spannenden Kapitel mit den Entwicklungen der sehr unterschiedlichen Protagonistinnen Minka, Caro und Claire bereitet viel Freude und sorgt für gute Unterhaltung!