Rezension

Spannender und emotionaler Einblick ​

Geboren als Frau - Glücklich als Mann - Niklaus Flütsch, Ursula Eichenberger

Geboren als Frau - Glücklich als Mann
von Niklaus Flütsch Ursula Eichenberger

Bewertet mit 3 Sternen

Dieses Buch zu bewerten ist eine unheimlich schwere Aufgabe, da es größtenteils die privaten Erlebnisse und Gefühle eines Menschen sind, die dieser mutigerweise mit uns teilt. Ich möchte deswegen klarstellen, dass sich weder meine Sternebewertung noch meine spätere Kritik auf Niklaus Flütsch als Person oder seine persönlichen Erfahrungen beziehen sondern lediglich auf den Aufbau dieses Buches, seine zusätzlichen Themen und seinen Wert als Informationsmaterial über das Thema Trans allgemein.

Ich war mit dem Thema Transsexualität bzw. Transidentität bereits ein wenig vertraut, jedoch eher auf theoretischer Ebene, da ich keine Trans-Menschen persönlich kenne. Für mich waren die in diesem Buch geschilderten Erlebnisse von Niklaus daher sehr faszinierend.

Das Buch besteht aus kurzen, gut lesbaren Textabschnitten, die zum Teil Erinnerungen an Niklaus‘ Kindheit darstellen, zum Teil aber auch kurze „Logbucheinträge“ aus der Zeit kurz vor, während und nach seiner Transition sind. Wie bedrückend und schmerzhaft es sein kann, als ein Mensch wahrgenommen zu werden, als der man sich nicht fühlt, schildert Niklaus hier sehr anschaulich und berührend. Alleine deshalb ist dieses Buch sicher eine lohnenswerte Lektüre für alle Menschen, die sich nicht vorstellen können, wie sich Transidentität anfühlt. Sehr emotional waren für mich auch die Abschnitte, in denen Niklaus die Freude beschreibt, die er empfand, als er endlich die ersten Male als Mann wahrgenommen wurde, und erklärt, wie und warum sich das nun viel besser und endlich richtig für ihn anfühlt.

Eingeflochten sind auch Texte aus der Sicht von Niklaus‘ Familie, Freundeskreis ehemaligen Partnerinnen, Patientinnen, Kolleg*innen und seinem Ehemann. Diese eröffnen eine neue, ebenfalls sehr interessante Perspektive darauf, wie Niklaus und seine Transition von außen wahrgenommen wurden und wie sich seine inneren Kämpfe auch auf seine Beziehungen auswirkten. Vor allem aber zeigen sie, dass Menschen, die einen wirklich lieben, einen so nehmen, wie man wirklich ist, was für mich eine sehr berührende, indirekte Aussage des Buches war.

Eine für mich besonders interessante Information, die leider nie genauer aus wissenschaftlicher Sicht erklärt wird, war für mich, dass sich Niklaus, wie viele Transmänner, zunächst als lesbische Frau identifiziert hat. Auch anhand Niklaus‘ eigener Vorurteile, von denen er erzählt, wird hier deutlich, wie häufig in unserer Gesellschaft die Grenzen zwischen sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität noch verschwimmen und so beispielsweise angenommen wird, Frauen, die sich „männlich“ verhalten, seien lesbisch. Niklaus macht, ohne auf diesen Irrtum genauer einzugehen, durch seine Geschichte den Unterschied klar.

Neben den vielen persönlichen Informationen enthält das Buch auch, vor allem im Anhang, Informationen zum Thema Transidentität allgemein, zu den medizinischen Vorgängen bei der Transition und zur Rechtslage in der Schweiz. Niklaus beschreibt anschaulich, wie belastend es für Transmenschen sein kann, wenn Nachweise für die Transidentität im Form von Therapie und einer Diagnose gefordert werden, was im Grunde bedeutet, dass Transmenschen als krank gelten müssen, um ihren Körper ihren Empfindungen anzupassen.

In vielen Passagen des Buches regt der Autor sehr zum Nachdenken an, nicht nur über den Umgang mit Transmenschen sondern auch über das Geschlecht und die Bedeutung, die wir ihm im Alltag beimessen, allgemein. Er kritisiert zum Beispiel die Klassifizierung von Transidentität als Krankheit und weist daraufhin, dass nicht die Transidentität die Probleme verursacht, sondern die Reaktionen der Gesellschaft, besonders der Drang, Menschen in Geschlechterrollen einzuordnen.
Allgemein spricht er sich, was aufgrund seiner negativen Erfahrungen mit starren Geschlechterrollen verständlich ist, dafür aus, diese Rollenbilder allgemein aufzuweichen und das Geschlecht auf juristisch-politischer Ebene abzuschaffen, sodass es in Ausweisen, auf Geburtsurkunden, etc. nicht mehr geführt wird. Ein ebenfalls interessanter Gedankengang, der angeschnitten wird, ist die Frage, wieso Menschen dem biologischen Geschlecht, das im Grunde nur für die Fortpflanzung wirklich relevant ist, so viel Bedeutung beimessen.

Trotz der vielen interessanten Aspekte kann ich das Buch nicht als Einführung in das Thema Gender, Geschlechtsidentität und Trans empfehlen. Dadurch, dass es sich hauptsächlich um einen persönlichen Erfahrungsbericht handelt, fehlt es dem Buch trotz des Glossars am Ende an vielen allgemeinen Informationen. Neurobiologische Nachweise von Transidentität und Debatten darum werde nur am Rande angeschnitten und der Autor spricht zwar von Geschlecht als einem Spektrum und von „queren Theorien“ (die er falsch oder zumindest missverständlich definiert), lässt aber unerwähnt, dass es gerade wegen dieses Spektrums auch Menschen gibt, die sich - was das Gender betrifft - weder komplett als Mann noch komplett als Frau identifizieren. Dies ist, wenn man sich für das Thema interessiert, heutzutage jedoch ein wichtiger Bestandteil der Diskussion, ebenso wie „Cis“ als Gegenbegriff zu „Trans“, der hier völlig fehlt. Den Begriff „Transgender“ kritisiert der Autor wegen des Fokus auf das „soziale Geschlecht“ und die fehlende Erwähnung der Anatomie, ignoriert dabei jedoch, dass der Begriff besonders für Menschen existiert, deren Hauptproblem eben nicht ihre Anatomie ist sondern die gesellschaftlichen Rollen, die damit verbunden werden.
Dass das Buch keine allgemeine, sachliche Einführung in das Thema ist, werfe ich dem Autor auch absolut nicht vor, denn diesen Anspruch erhebt er schließlich nicht. Doch ich hätte mir gewünscht, dass er mit Begrifflichkeiten und Informationen, die über seine persönliche Geschichte hinausgehen, etwas sensibler und informierter umgeht.

Auch das Bild der (lesbischen) feministischen Szene, dass der Autor zeichnet, fand ich kritisch. Häufig betont er, er habe Angst gehabt, zu seinem männlichen Ich zu stehen, weil seine Bekannten ihn dann als Verräter gesehen hätte, weil sie Männer hassten. Ich will nicht ausschließen, dass es solche Frauen in der lesbischen Szene gibt, doch die Darstellung und Formulierungen waren mir teilweise etwas zu verallgemeinernd.

Mein größtes Problem mit dem Buch waren jedoch die starren Geschlechterrollen, in denen der Autor - trotz seiner negativen Erfahrungen damit - denkt und spricht. Dabei geht es mir nicht darum, Niklaus‘ seine Erfahrungen mit Eigenschaften, die er an sich persönlich als männlich definiert, anzusprechen. Ich kann auch durchaus nachvollziehen, wieso jemand, der Jahrzehnte brauchte, um als Mann anerkannt zu werden, sich unter anderem über Männlichkeitsklischees definiert.
Doch häufig sind seine Aussagen über Äußerlichkeiten, Charaktereigenschaften und Hobbys, die er als „männlich“ oder „weiblich“ bezeichnet, stark verallgemeinernd. So schreibt er beispielsweise, Whiskey trinken wäre „männliche Freizeitgestaltung“ und eine Pfeife würde nicht zu einem Frauenkörper passen, über Gefühle sprechen, Schmuck, Make-Up und Röcke tragen wiederum wären weiblich. Für jemanden, der selber stark unter Geschlechterrollen gelitten hat, finde ich solche Aussagen nicht nur konservativ und rückständig sondern auch erstaunlich unsensibel, da sie, wenn er Weiblichkeit und Männlichkeit darüber definiert, implizieren, Menschen, auf die diese Dinge nicht zutreffen bzw. die Eigenschaften des anderen Geschlechts zutreffen, wären nicht weiblich bzw. männlich genug.
Mir fehlte hier einfach die klare Unterscheidung zwischen Aussagen darüber, wodurch der Autor sich persönlich besonders männlich fühlt, und Aussagen darüber, was seiner Meinung nach Männlichkeit bei allen Männern ausmacht.

Fazit

„Geboren als Frau, glücklich als Mann“ ist ein sehr emotionaler und anschaulicher Bericht über das Leben als Transmann vor und nach dem Outing, durch den ich viel Neues gelernt habe. Als allgemeine Einführung in das Thema Trans und all seine Facetten ist das Buch jedoch nicht geeignet und auch die kommentarlose Wiedergabe starrer Geschlechterrollen störte mich.