Rezension

Spannender und kompakter historischer Roman aus der Bremer Stadtgeschichte

Gredje von Essen - Anna Callenberg

Gredje von Essen
von Anna Callenberg

Bewertet mit 5 Sternen

Bremen, 16. Jahrhundert: Die bis dahin bei ihrer Großmutter, einer Kräuterfrau und Hebamme, in sehr einfachen Verhältnissen aufgewachsene Wübke kommt als 6jährige als Dienstmädchen zur reichen Kaufmannswitwe Gredje von Essen. Deren Regiment ist streng aber gerecht, und vor allem anderen lehrt sie Wübke lesen und schreiben, eine eher seltene Fähigkeit in jener Zeit. Die Witwe macht sich mit ihrer Art nicht überall Freunde und weist außerdem die Avancen ihres neuen Nachbarn ab, was dieser nicht verwinden kann. Die nächstbeste Gelegenheit nutzend, denunziert er sie beim Rat als Hexe, und Gredje wird, samt Wübke, ins Verlies geworfen und einer peinlichen Befragung unterzogen. Mehr tot als lebendig kann sie durch eine List befreit werden und auch Wübke entkommt dem Verlies. Können die Frauen ihre Dämonen besiegen und ein neues Leben anfangen?

Atmosphärisch dichter, komplexer Roman über die im Ursprung wahre Geschichte der „Hexe“ Gredie von Essen, aus der Sicht ihres Dienstmädchen Wübke erzählt. Das relativ dünne Buch kommt als sehr gut gebundenes Paperback mit wunderbar gestaltetem Umschlag daher. Die Geschichte ist kompakt erzählt und zeugt von ungeheurem detailliertem historischen Wissen der Autorin, die die mitunter verwirrenden politischen Verhältnisse und Ränke jedoch in eine kompakte, gut zu lesende Sprache packt. Die Geschichte ist spannend, fesselt von der ersten Zeile an und ist gerade durch ihre Kompaktheit nicht eine Sekunde langweilig. Direkt, kompromisslos und ohne Effekthascherei führt uns die Autorin in eine Welt im Umbruch, voller Aberglaube und Gottesfurcht. Mit klarer Sprache beschreibt sie sehr authentisch Lebensumstände der Menschen, politische und religiöse Geschehnisse, aber auch große Gefühle wie Freundschaft, Liebe und Verrat.

Formal teilt sich der Roman in zwei Teile – die Zeit in Bremen bis 1565 und die Zeit bis 1580. Dabei springt die Erzählung oft zwischen den Jahren vor und zurück, hilfreicherweise sind die einzelnen Kapitel mit Orts- und Zeitangaben versehen. Aus der Sicht Wübkes in der Ich-Form erzählt, gibt die Geschichte tiefe Einblicke in das Seelenleben vor allem in die Gefühlswelt des Dienstmädchens. Sie ist die eigentliche Hauptfigur der Handlung, ihr Charakter macht die größte Wandlung durch. Durch ihre schrecklichen Erlebnisse wird sie erwachsen und entwickelt sich von der reinen Befehlsempfängerin in eine Frau, die mit gewitztem Verstand ihr Vermögen zu vermehren versteht. Dennoch ist und bleibt sie empathisch und emotional, ihre Familie geht ihr über alles und ihre Gefühlswelt ist alles andere als abgestumpft. Wübkes Charakter ist am ausgefeiltesten, mit ihr lebte ich von Anfang an intensiv mit. Doch auch die anderen Figuren sind gut gezeichnet und vielschichtig. Am interessantesten und sympathischsten findet man ja zumeist diejenigen, die nicht einseitig schwarz und weiß dargestellt werden, die sowohl gute als auch schlechte Eigenschaften haben, das macht sie menschlich, sie haben Persönlichkeit und sind authentisch, wie zum Beispiel in diesem Fall vor allem Hinrich Lütz und natürlich Gredje von Essen. Über diese will man als geneigter Leser am liebsten viel mehr erfahren, als es der Fall ist, und deswegen sowie aufgrund des recht offenen Endes werde ich sicherlich nach weiteren Büchern der Autorin Ausschau halten.

Fazit: sehr guter historischer Roman, der förmlich nach einer Fortsetzung ruft! Der Autorin ist ein überzeugendes Debüt gelungen, die spannende Darstellung einer sehr speziellen Begebenheit aus der Bremer Geschichte. Wer als Leser ein gewisses Interesse an detailliert und fundiert dargestellten historischen Ereignissen besitzt, wird sicherlich tief in dieses Buch eintauchen und sehr viel neues Wissen daraus gewinnen. Für Einsteiger in das Genre eher nicht geeignet, ist das Buch für geschichtsbegeisterte ein wahrer Lesegenuss sowie für alle, die starke Frauenfiguren lieben.