Rezension

Spannung, ein scharfsinniger Ermittler und ein interessanter Plot sind garantiert

Wisting und der Atem der Angst
von Jørn Lier Horst

Bewertet mit 5 Sternen

WISTING zum Dritten in 84 Häppchen.

Jørn Lier Horst beherrscht sein Metier des Krimiautors perfekt. Bereits die Beobachtung des Signals des entwichenen Serienmörders Tom Kerr ist von absoluter Spannung.

Der inhaftierte perverse Killer Tom Kerr soll bei einem Außentermin die Polizei zum Grab seines Mordopfers führen. Er „entledigt“ sich seiner Fuß- und Handfesseln, sprengt seine ihn begleitenden Beamten in die Luft, entdeckt die geheimen Sender und verschwindet mit einem Motorboot. Nicht gerade ein Ruhmesblatt der norwegischen Polizei, die meint ‚Kerrs Plan war besser als ihrer.‘ Zu dieser Schande kommt die persönliche Schmach: William Wisting, als Distriktverantwortlicher wird er plötzlich zum Sündenbock gemacht und muss sich der internen Ermittlung stellen.

Horst hat an Line, erst angestellte, dann freischaffende Journalistin, Tochter von William Wisting, insgeheim ihrer wahren Bestimmung folgend eine Kriminalkommissarin, einen „Narren gefressen“ und gibt ihr immer mehr Raum. Alleinerziehend, wenig Kontakt zu ihren früheren Freunden, zum Erzeuger ihrer Tochter hüllt sich Horst in Schweigen. Für mich etwas zu viel Line, aber für Horst vielleicht ein Gegenpol zu den polizeilichen Ermittlungen.

Was mich an diesem Kriminalroman besonders beeindruckt hat fasst Horst im „Epilog“ zusammen und im Kapitel 45 im Gespräch des Psychiaters von Tom Kerr Elias Wallberg mit Line: Grausamkeit und Bösartigkeit der Menschen.
‚Was sei Bosheit, woher kommt sie und wohin kann sie führen?‘ ‚Bosheit ist die innere Finsternis, ein Drang, anderen Menschen Schmerzen zuzufügen.‘ ‚Bosheit sei etwas, was wir nicht verstehen, weil wir nicht wissen, woher sie kommt, können uns nicht dagegen wehren oder verhindern. Genau wie bei der Liebe.‘ Bosheit muss keine psychische Abweichung sein, sie kann auf physischen Prozessen im Gehirn beruhen. Psychopathen können Defekte oder Mängel in dem Teil des Gehirns haben, in dem die Persönlichkeit geprägt wird, ihnen fehlen die entsprechenden Gehirnzellen, die Gefühle wie Reue, Scham, Schuld, Angst oder Unbehagen hervorbringen können.
Das Verhalten von Tieren wird von Impulsen und Instinkten gesteuert, normale Menschen handeln nach ihrem Gewissen, Kerr hat kein Gewissen, in dieser Hinsicht gleicht er eher einem Tier als einem Menschen.

Aus kriminalistischer Sicht steht im Mittelpunkt die verzweifelte Suche nach dem „Anderen“, einem Phantom, dem Nachahmer und vermeintlichen Komplizen von Kerr, dem die norwegische Polizei bereits seit Jahren nachjagt. Autor Jørn Lier Horst versteht es meisterhaft, immer wieder falsche Fährten zu legen, als Leser glaubt man an völlig unglaubhaften Verdächtigen und baut überraschende Wendungen ein. Das Ganze gipfelt in einem spektakulären Showdown.

William Wisting ist kein Haudrauf wie manch andere seiner Kollegen, sondern ein ruhiger, aber dennoch ein sehr zielstrebiger und erfolgreicher Ermittler.

Ich bin ein Fan von William Wisting und ein Liebhaber des Autors Jørn Lier Horst.