Rezension

Spannung mit »Widerhaken«

Leichendieb - Patricia Melo

Leichendieb
von Patricia Melo

Bewertet mit 5 Sternen

Eigentlich mag ich ja, wenn die Hauptfiguren eines Krimis sympathisch sind. Hier sind sie das nicht. Insofern ist es für mich ein spannender Krimi mit »Widerhaken«.

Die Handlung: Ein Manager in Brasilien ohrfeigt eine Angestellte, ist dabei selbst darüber erschrocken, dass er dazu fähig war. Als sich die junge Frau später umbringt – wobei die Ohrfeige als der Auslöser der Tat, nicht als wirkliche Ursache gilt –, ist der Manager nicht mehr in der Firma zu halten und verliert seinen Job. Er ist der Ich-Erzähler, aus dessen Perspektive der Roman erzählt wird.

In der Folge lebt er in der Provinz, wird beim Angeln Zeuge eines Flugzeugabsturzes und nimmt den Besitz des Piloten, dem er nicht mehr helfen kann, an sich.

Wozu Menschen fähig sind, wie sie die Grenzen hinausschieben und sich davon überzeugen, dass so schlimm doch nicht ist, was sie tun, ist das Thema, das die Entwicklung der Handlung vorantreibt. Erst wird man Zeuge eines Flugzeugabsturzes und raubt den toten Piloten aus, zu dessen Besitz ein Päckchen Kokain gehörte, dann erkundet man neue Möglichkeiten des Geldgewinns, schließlich lässt ein Missgeschick die Grenzen dessen, zu dem man fähig ist, weiter verrücken – erst als Gedankenspiel, mit Abwehr gegen die ins Auge gefasste Möglichkeit, dann versucht man für sich zu begründen, dass die Tat doch nicht nur schlimm ist. Wobei der Erzähler auch seinen Mitmenschen gegenüber hilfreich sein kann und wiederum für die, die er betrügt, Empathie aufbringt. Wovon diese aber nicht wirklich etwas haben.

Befreundet ist der Ex-Manager mit Sulamita, Angestellte bei der Polizei. Das Glück mit Familie haben die beiden fest im Blick.

Figuren und Handlung werden in diesem Roman gekonnt und äußerst überzeugend dargestellt und entwickelt. Wie gesagt: Die Sympathiewerte der Hauptfigur(en) sind begrenzt, aber in seiner Darstellung und Konsequenz und der Entfaltung der weiteren Figuren, die für Teile der brasilianischen Gesellschaft stehen, ist »Leichendieb« sehr gelungen.

Wie schreibt Tobias Gohlis in seinem Vorwort, das der Lizenzausgabe der Büchergilde Gutenberg vorangestellt ist: »Nein, Leichendieb ist nicht erbaulich. Ich kann Ihnen nur eine tiefgründige komische Wanderung auf dem rasiermesserscharfen Grat versprechen, der zwischen Selbstbetrug und der moralischen Verrottung liegt.«

Kommentare

alasca kommentierte am 14. Dezember 2021 um 20:58

Schöne Rezi - das Buch fand ich auch sehr besonders. Und "nicht erbaulich" trifft es ziemlich gut! 

Steve Kaminski kommentierte am 14. Dezember 2021 um 23:08

Danke, Alasca, für Deinen Kommentar! :-)