Rezension

Spannung und Gefühl - ganz ohne Kitsch

ALLES WAS ICH DIR GEBEN WILL - Dolores Redondo

ALLES WAS ICH DIR GEBEN WILL
von Dolores Redondo

Bewertet mit 5 Sternen

Álvaro ist bei einem Autounfall in Galicien ums Leben gekommen. Der Schriftsteller Manuel kann das nicht glauben: sein Mann war doch in Barcelona? Dennoch identifiziert er den Leichnam als seinen Ehemann und ist froh, dass die Polizei die Akte schließt.

Denn bei ihm hat sich das Gefühl eingeschlichen, das Leben, was er sich mit Álvaro aufgebaut hat, auf Lügen fußt. Zu viele Fragen bleiben unbeantwortet und er fürchtet sich vor dem, was über seinen Mann ans Licht kommen könnte.

Doch der sturköpfige Polizist Nogueira kann Manuel davon überzeugen, selbst die Ermittlungen aufzunehmen.

Vorweg muss ich sagen, dass ich hinter dem doch etwas eintönigen Cover einen seichten Roman erwartet habe. Sehr positiv überrascht war ich dann, als die Geschichte immer weiter vorangegangen ist und sich als spannender Krimi herausgestellt hat. Im Buchladen hätte ich es wohl nicht einmal bis zum Klappentext geschafft, jetzt bin ich froh darum, dass mir das Buch empfohlen wurde.

Dieses Buch behandelt viele Themen. Homophobie ist eines davon, denn im erzkatholischen Galicien spielt die konservative Familie eine wichtige Rolle. Doch wer hätte gedacht, dass er gerade in Priester Lucas, dem besten Freund von Álvaro, einen starken Verbündeten findet?

Ebenso geht es hier um Macht und Gier. Beides nicht ungewöhnlich in den spanischen Adelsfamilien, zumindest in diesem Roman. Álvaros Familie ist kalt, zurückweisend und bildet sich ein, aufgrund des Adelstitels etwas besseres zu sein. Eine Einstellung, mit der Manuel nicht klar kommt. Denn obwohl seine Bücher erfolgreich sind, ist er stets bodenständig geblieben.

Während Manuel anfangs davon überzeugt ist, seinen Mann besser zu kennen als jeder andere, wandelt sich dies im Fortgang der Handlung. Langsam zweifelt er daran, dass Álvaro ihn geliebt hat – warum sonst hatte er so viele Geheimnisse? Er tat mir sehr oft leid, ich konnte seine Verzweiflung nachfühlen. Er ist hin- und hergerissen zwischen der Liebe, die er während all der Jahre empfand, und der Enttäuschung, die sich nun in ihm einnistet. Aber wen wundert das? Sein Charakter ist so real, das gelingt den wenigsten Autoren. Die Hoffnungslosigkeit und Angst vor der Zukunft weichen dann aber doch der Entschlossenheit, die Wahrheit über Álvaros Tod herauszufinden. Warum wurde sein Tod als Unfall abgetan? Welche Geheimnisse versucht Álvaros Familie zu schützen?

Nogueira ist ebenfalls ein wichtiger Charakter, bekommt aber weniger Sympathien. Seine Abneigung gegenüber Manuel aufgrund seiner Homosexualität ist deutlich zu spüren. Seine ruppige Art macht ihn dennoch ein bisschen liebenswert. Er möchte trotzdem, dass die Gerechtigkeit siegt und unterstützt Manuel bei der Suche nach den Geschehnissen, die zum Tod von Álvaro geführt haben.

Der Schreibstil ist sehr bildhaft, was ich manchmal anstrengend fand. Aber ich hatte die Weinberge vor Augen, den Fluss und das Gut der Familie, und zwar so, als ob ich direkt dabei bin. Seite um Seite flog, ohne dass ich es so recht bemerkt habe. Der Mix aus Spannung und Gefühl, ohne kitschig zu sein, hat mich wirklich überzeugt.