Rezension

Spannunsgeladen bis zum Ende

One of the Girls
von Lucy Clarke

Bewertet mit 4.5 Sternen

Von Lucy Clarke hatte ich bislang nicht gelesen, aber im britischen Fernsehen werden wohl zunehmend Adaptionen zu ihren Büchern vorangetrieben, was ich immer einen spannenden Faktor finde. Wenn ich mir nun ihr bisheriges Portfolio anschaue, dann fällt ins Auge, dass sie Liebesgeschichten offenbar genauso zu bedienen mag wie Spannungsliteratur oder tatsächlich auch Thriller. Das finde ich ebenfalls einen spannenden Balanceakt, denn die Schreibprozesse und die jeweiligen Anforderungen werden da doch schon unterschiedlich sein. Bei „One of the Girls“ habe ich nun zugeschlagen und ich würde sagen, dass Clarke hier einen Spannungsroman mit sehr starken Charakterentwicklungen abliefert, aber schauen wir uns das im Detail näher an.

Zunächst will ich noch ein paar Worte zu dem Marketing des Buchs verlieren. Ich finde es schon problematisch, dass das Ende des Buchs so offensiv im Klappentext schon angekündigt wird. Auch wenn es im Buch die Zwischenkapitel gibt, die etwas Schreckliches am Ende ankündigen, so bewerte ich das doch völlig anders als den Klappentext. Ich verstehe, dass natürlich dieser Thrill-Aspekt sich sehr gut vermarkten lässt und dass er vielleicht auch die Zielgruppe erweitert, aber dennoch führt sowas schnell in die Irre, denn ein klassischer Thriller ist es nicht, wahrlich nicht. Angesichts des Marketings ist es ein absolutes Plus, dass „One of the Girls“ tatsächlich durchgängig sehr spannend erzählt ist. Es ist kein an den Nägeln knabbern wert, denn die Spannung entsteht nicht dadurch, dass irgendetwas Gruseliges passiert oder man mitten in einer wilden Ermittlung steckt. Stattdessen hat mich gereizt, dass es sechs sehr unterschiedliche Frauenfiguren sind, die alle mit Geheimnissen im Gepäck angereist sind. Die Geschichte ist auch aus allen Perspektiven erzählt worden und meistens war es dann der letzte Satz des Kapitels, der Andeutungen machte und wo man unbedingt mehr erfahren wollte. Das ist eben so wichtig, weil es ansonsten vor allem eine Charakterstudie ist und ich weiß aus jahrelanger Erfahrung in Büchercommunities, dass das nicht immer gut ankommt.

Nun aber nach dieser Kritik zum Marketing ab zum Eintauchen in die Geschichte. Mir hat die Frauenvielfalt so gefallen, weil ich auch eine starke feministische Perspektive wahrgenommen habe. So ging es aber nicht darum, dass sechs Frauen sich gegen die Männerschaft verschwören, stattdessen waren es so unterschiedlichen Typen, dass sie erst ihre Baustellen untereinander aus dem Weg räumen mussten, um den Wert aneinander zu erkennen und umzudenken. Das fand ich spannend, weil es zu Beginn nicht ersichtlich war, worauf „One of the Girls“ genau hinarbeitet. Die sechs Frauen helfen aber natürlich auch, dass man auf jeden Fall eine Figur findet, mit der man sich identifizieren kann. Ich fand Robyn und Eleanor wohl am nachvollziehbarsten, aber insgesamt war es auch so positiv, dass ich selbst bei einer so ‚nervigen‘ Figur wie Bella dennoch genug angeboten bekommen habe, dass ich sie näher kennenlernen wollte, um sie besser verstehen zu können. Das schaffen Autoren nicht immer und dann habe ich keine Chance, aber auch wenn die Stimmung sich immer änderte, wenn Bella aufschlug und sich einmischte, so war sie am Ende doch die größte Überraschung für mich. Insgesamt würde ich auch sagen, dass ich zu allen sechs Figuren ausgiebig diskutieren könnte, weil ich zu allen so viel angeboten bekommen haben. Das war tatsächlich das große Highlight, im übertriebenen Sinne, sechs neue Freundinnen gewonnen zu haben.

Der Schreibstil ist aber eben auch wichtig, weil dieses Entdecken der Geheimnisse entscheidend dazu beiträgt, immer nur weiterlesen zu wollen. Man will endlich alle Aufklärungen haben. Weiterer großer Pluspunkt: das Ende hält den Erwartungen stand. Es war total interessant und ja oft auch überraschend, wie die einzelnen Frauen in einem Zusammenhang standen, ohne es zu wissen. Dazu dann eben der Showdown, der so auch nicht im Vorfeld zu erahnen war, und es kommt ein Gesamtkunstwerk zustande, das ich wirklich nur empfehlen kann.

Zuletzt will ich noch einige Worte verlieren, weil ich „One of the Girls“ als Hörbuch konsumiert habe. Als schon angekündigt wurde, dass es mit Julia von Tettenborn und Corinna Dorenkamp gleich zwei Sprecherinnen geben wird, war ich gespannt, wie das gestaltet wird. Während ich beide Sprecherinnen loben will, so hadere ich immer noch etwas, ob man das Hörbuch nicht doch etwas anders hätten gestalten können. Julia von Tettenborn liest nämlich alle sechs Perspektiven, während Dorenkamp die Kapitel hat, die aus der ‚Wir‘-Perspektive sind. Die Unterscheidung hätte ich nicht unbedingt gebraucht, während ich als Hörerin aber bei gleich sechs Frauenfiguren lieber eine stimmliche Markierung für den Wechsel gehabt hätte. Es wird zwar immer schnell das erste Mal der Name der Frau genannt, aus deren Sicht nun erzählt wird, aber als Leserin hat man ja noch eine ganz andere optische Möglichkeit der Orientierung. Das hat mir etwas gefehlt, auch weil ich nicht unbedingt den Eindruck hatte, dass Tettenborn jeder Figur etwas ganz Eigenes mitgeben konnte. Sechs Sprecherinnen wären wahrscheinlich auch zu teuer gewesen, aber das fiel mir eben auf. Die Stimmen an sich top gewählt.

Fazit: „One of the Girls“ ist ein wirklich sehr empfehlenswerter Spannungsroman, der es geschickt schafft, bei gleich sechs Frauenfiguren tiefenpsychologisch einzusteigen. Dazu gibt es Geheimnisse und Verwicklungen genug, die sich nicht gleich zu Beginn erahnen lassen und die dadurch Spannung bis zum Schluss garantieren.