Rezension

Spekulanten am Canale Grande

Falsche Freunde -

Falsche Freunde
von Wolfgang Schorlau

Bewertet mit 4 Sternen

 Die Todesdrohungen der Mafia haben den sizilianischen Commissario Morello nach Venedig gebracht, wo er mit dem Roman "Falsche Freunde" von Wolfgang Schorlau und Claudio Caiolo nunmehr seinen dritten Fall löst. Mögen andere von der Lagunenstadt mit ihren Kanälen und prachtvollen Palästen schwärmen, Morello will unbedingt zurück nach Sizilien, die offene Rechnung mit der Cosa Nostra begleichen, den Tod seiner Frau und seines ungeborenen Kindes rächen. Und die winterliche Kälte im Norden ist nur ein weiterer Grund, Venedig so schnell wie möglich verlassen zu wollen.

Vorerst aber muss Morello einen Mordfall lösen - seinen letzten in der Stadt der Gondeln? Ein Buchhalter wird gleich zu Beginn des Romans ermordet aufgefunden, die Trauer um den Toten hält sich in Grenzen: In der Nachbarschaft galt er als unsympathisch, seine Mitarbeiter wissen nichts Gutes über ihn zu erzählen, während seine Privatklienten sich eher verschlossen geben. 

In der Hörbuchversion bereichert die markante Stimme von Dietmar Wunder das Lese- beziehungsweise Hörerlebnis. Wunder kann man sehr gut zuhören,  und seine Interpretation insbesondere des Commissarios ist ausgesprochen glaubwürdig.

Erst nach und nach erfahren die Ermittler, dass der tote Buchhalter für die Nachkommen alteingesessener Familien, die auch Dogen gestellt hatte, gearbeitet hat. Und diese Gruppe hat ganz eigene Pläne für die Lagunenstadt als einen Spielplatz der Superreichen, mit U-Bahn-Anbindung zum Flughafen, mit auf die Spitze getriebener Gentrifizierung - dabei müssen auch Morellos Mitarbeiter nach Mieterhöhungen bangen, wie lange sie sich eine Wohnung in Venedig überhaupt noch leisten können. Schließlich will nicht jeder die Stadt so umgehend verlassen wie Morello!

Als wären die Ermittlungen nicht schon kompliziert genug, soll die Mordkommission nun auch noch Zeit aufbringen, die Vorhersagen einer KI zu Taschendiebstählen in Venedig aufzugreifen und Straftaten verhindern. Hier gilt es, mit unorthodoxen Methoden die unerwünschte Extraarbeit zu vermeiden. Zudem gerät Morello  ins Grübeln, was seine Kollegin, die toughe Polizistin Anna angeht, mit der er im letzten Fall einen one night stand hatte. Nicht nur der Status der künftigen Beziehung wirft Fragen auf, sondern auch Annas ungeahnte Kampftechniken. Offenbar hütet sie ein Geheimnis - aber welches? Die Antwort darauf muss wohl bis zum nächsten Fall warten.

Der "freie Hund" Morello muss in "falsche Freunde" einmal mehr Gefahren trotzen und in den Abgründen der vermeintlich besseren Gesellschaft ermitteln. Mit Immobilienspekulationen, Korruption, Gentrifizierung und Verflechtungen zwischen Wirtschaft und organisierter Kriminalität hat dieser Kriminalroman ein Szenario, das nicht völlig aus der Luft gegriffen erscheint. Eine überraschende Erkenntnis Morellos am Ende des Romans baut eigentlich bereits die Brücke zu einem neuen Buch. Da kann man gespannt sein.

Die Kontraste zwischen Italiens Norden und Süden, die "cazzo"-Flüche Morellos und sein Festhalten an einigen sizilianischen Besonderheiten wirken manchmal zwar etwas klischeehaft, stören beim Lesen von "Falsche Freunde" aber nicht wirklich. Und gerade mit Winternebeln hat die Lagunenstadt in diesem Buch eine ganz besondere Atmosphäre - auch wenn Morello sie nicht zu schätzen weiß.