Rezension

Spin-Off mit ganz besonderen Protagonisten

Schimmert die Nacht - Maggie Stiefvater

Schimmert die Nacht
von Maggie Stiefvater

Bewertet mit 5 Sternen

Fortsetzungen oder Spin-Offs von an sich abgeschlossenen Reihen lösen in mir in der Regel keine Begeisterungsstürme aus - irgendwann muss die durch den Autoren vorgegebene Geschichte enden und das weitere Leben der Figuren der Fantasie des Lesers übergeben werden, sonst droht die Gefahr mit der Handlung immer weiter abzudriften und entweder in Belanglosigkeiten oder Absurditäten zu versinken bis selbst der größte Fan seinen geliebten Charakteren nichts mehr abgewinnen kann.

Einen solchen Weg sah ich nun möglicherweise auch eine meiner Lieblingsreihen, die Mercy-Falls-Trilogie der wortgewandten US-amerikanischen Autorin Maggie Stiefvater, einschlagen, als sich "Schimmert die Nacht" ankündigte - ein Spin-Off über die Protagonisten Cole und Isabel, die ab dem zweiten Band "Ruht die Licht" neben Sam und Grace bereits in der ursprünglichen Büchern als Ich-Erzähler aufgetreten waren. Zwar blieb ihre parallel verlaufende Liebesgeschichte am Ende der Trilogie offen, doch die Werwolf-Problematik, die den Contemporary-Fantasy-Kern der Handlung ausgemacht hatte, war an sich abgeschlossen. Gab es dort also tatsächlich noch Stoff für ein Spin-Off oder würde "Schimmert die Nacht" mir das Ende meiner geliebten Trilogie nachträglich verderben? Sehr skeptisch habe ich dennoch nach längerem Zögern zu lesen begonnen - ganz und gar ignorieren konnte ich ein Maggie-Stiefvater-Werk dann doch nicht - und folgende Geschichte vorgefunden:

Cole St. Clair kehrt dem Anwesen in Minnesota den Rücken. Ein Internet-TV-Sender, möchte in Los Angeles eine Reality-Show mit ihm produzieren und er fühlt sich nach all der Zeit bereit wieder in die Rolle des Ex-NARKOTIKA-Leadsängers und Keyboarders zu schlüpfen und mit neuer Band ein neues Album aufzunehmen. Doch insgeheim führen Cole noch andere Pläne nach L.A.: Isabel Culpeper lebt dort mit ihrer Mutter und Cole möchte sie zurückgewinnen. Isabel ist allerdings weniger begeistert, als er plötzlich vor ihr steht. Sie hat ein neues Leben begonnen und fürchtet, dass Coles neu erwachtet Rockstar-Leben ihn wieder in den Sumpf aus Alkohol und Drogen zieht, der für ihn damals bei den Wölfen in Mercy Falls geendet hatte....

Maggie Stiefvater konzentriert sich tatsächlich fast ausnahmslos auf die turbulente Beziehung zwischen dem unberechenbaren Cole und der kühlen Isabel. Sie erschafft dabei ein völlig neues Setting in einer neuen Stadt mit neuen Charakteren neben ihren beiden Ich-Erzählern. Sam und Grace sind bestenfalls noch Randbemerkungen in Nebensätzen und auch die Werwölfe sind weitestgehend aus der Geschichte eliminiert, auch wenn Cole selbst den Wolf natürlich noch in sich trägt. Welche eher symbolische Rolle er in diesem Roman spielen wird, will ich an dieser Stelle nicht verraten, doch wer "Schimmert die Nacht" mit der Erwartung einer klassischen Urban-Fantasy liest, also auch nach genau den Elementen sucht, die "Nach dem Sommer/Ruht das Licht/In deinen Augen" besaß, wird von diesem Spin-Off wohlmöglich enttäuscht sein. Ich hingegen empfinde gerade diese umfassende Ablösung von der ursprünglichen Trilogie sehr gelungen, denn die Autorin schafft dadurch die Gratwanderung die Unversehrtheit der vorherigen Geschichte zu garantieren und dennoch die liebgewonnen Charaktere wieder aufleben zu lassen.

Cole und Isabel - das ist der Kern dieses Romans und die beiden haben tatsächlich das Potential die 400 Seiten zu füllen. Im Vergleich zu der zarten, poetischen, romantischen Liebesbeziehung zwischen Sam und Grace ist diese Paarung viel leidenschaftlicher, dramatischer und explosiver. Treffen sie aufeinander ist das fast jedes Mal wie ein Erdbeben. Cole schwankt zwischen Manie und Depression - himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt - die Stimmungen wechseln bei ihm schlagartig. Isabel dagegen ist die kühle Blonde, gibt sich berechnend und unnahbar, um nicht verletzt zu werden. Schnell wird klar, dass diese beiden außergewöhnlichen Charaktere weder mit noch ohne einander besonders gut zurechtkommen. Während es allerdings zuerst maßgeblich um die Entwicklung Coles zu gehen scheint, konnte ich mich mit der Zeit kaum noch entscheiden, welche der beiden Figuren kaputter ist und wer sich hinter der größeren Maske versteckt.

Das Auf und Ab in der Beziehung zwischen Isabel und Cole ist schon allein sehr spannend und aufwühlend, doch wie die Autorin die Entwicklungen der beiden einarbeitet, ist einfach nur noch großartig und herzzerreißend. Ich habe es geliebt sie auf ihrem Weg durch emotionale Höhen und Tiefen zu begleiten, über Coles Sarkasmus und Isabels Bissigkeit zu lachen und sie nebenbei auch noch dabei zu beobachten, wie sie sich mit der zeitgleich gedrehten Reality-Show und deren auf einen Skandal hoffenden Produzentin auseinandersetzen. Cole und Isabel sind zwei sehr facettenreiche Charaktere, die man wie nur wenige im selben Moment lieben und hassen kann, und sie allein wären schon ausreichend für eine sensationelle Geschichte, doch die Autorin setzt ihrem Roman durch wundervolle Nebenfiguren wie den tief in sich selbst ruhenden Bassisten Jeremy oder die unsichere Cousine Sophia noch das Krönchen auf.

Fazit: Ich denke, ich bin immer noch kein großer Fan von Spin-Offs und Fortsetzungen nach abgeschlossener Handlung, doch Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel und so kann ich offen zugeben, dass meine Skepsis bei "Schimmert die Nacht" völlig unangebracht war. Die Autorin Maggie Stiefvater erzählt die leidenschaftliche Liebesgeschichte zwischen Cole und Isabel mit ausreichend Abstand zur Ursprungstrilogie und lässt dadurch zwei wundervolle Charaktere neu aufleben, die dieses Spin-Off zu "Nach dem Sommer/Ruht das Licht/In deinen Augen" zu einem emotional bewegenden Leseerlebnis machen. Ich bin begeistert und kann "Schimmert die Nacht" jedem empfehlen, der schon die Trilogie nicht nur wegen der Fantasy sondern auch wegen der großen Gefühle gelesen und geliebt hat. 5 Sterne