Rezension

Sprachgewaltig, atmosphärisch und großartig

Die Schlange von Essex - Sarah Perry

Die Schlange von Essex
von Sarah Perry

Bewertet mit 5 Sternen

Cora Seaborne ist nun Witwe und streift die Fesseln der Ehe ab, in dem sie ihr Haus in London verlässt und nach Essex reist. Dort frönt sie ihrer Leidenschaft, nämlich den Traum eines großen Fundes als Naturwissenschaftlerin. So erkundet sie die Landschaft, geht stundenlang spazieren und ist glücklicher als je zuvor. Durch Erzählungen von Bekannten wird sie auf das Küstenörtchen Aldwinter aufmerksam gemacht und dem Ungeheuer, was sich dort rumtreiben soll. Natürlich ist ihre Neugier geweckt und schon kurz danach stattet sie den Ort einen Besuch ab und trifft auf den Pfarrer. Beiden wurde schon durch Briefe einander vorgestellt und beide hatten unterschiedliche Vorstellungen. Cora dachte, der Mann wäre alt und verbohrt und Pfarrer Ransome erwartete, eine verbitterte alte Frau anzutreffen. Nun stehen sie sich gegenüber und müssen über ihre Fehleinschätzung lachen, schnell entwickelt sich eine Freundschaft, in dem sie sich unaufhaltsam streiten und diskutieren. Oder sind da vielleicht noch mehr Gefühle im Spiel? Was ist dran an der Schlange von Essex? Und geht aus der Landpartie außer Chaos, auch was Gutes hervor?
 
Hier muss ich sofort gestehen, ich bin ein Coveropfer. Diese Buchgestaltung ist einfach eine Wucht und fällt ins Auge und man muss einfach den Klappentext lesen. Selbst, das die Geschichte um 1893 spielt und ich, eigentlich nicht so der Fan von historischen bin, bereitete der Begeisterung keinen Abbruch. Auch, das der Roman den britischen Buchpreis gewann, machte es einfach noch verlockender trotz meiner momentan schlechten Erfahrung mit hochgelobten Büchern. Ich war Feuer und Flamme für dieses Buch und habe mit Begeisterung hinein gestöbert. Ob ich am Ende auch glücklich geblieben bin, erzähle ich euch jetzt.

Der Roman beginnt mit der Neujahrsnacht und einen jungen Mann am Wasser, ausgelassen und übermütig und dann ziehen Wolken vor den Mond. Die Stimmung wechselt, sie wird rau, beängstigend, Gänsehaut stellt sich auf und man spürt, man ist nicht allein. Später wird der junge Mann tot gefunden und die Geschichte der Schlange von Essex neu geboren. Man spürt sofort, dass diese Zeit noch zum Aberglauben neigt und aus Kleinigkeiten eine große Sache macht. Bald stehen wir mitten in Aldwinter und erleben mit, wie Glaube und Hysterie miteinander ringen.

Aber zuerst lernen wir Cora kennen. Eine noch junge Frau, gefangen in einem Korsett und der Etikette. Gestraft mit einem Mann, der sie gern leiden ließ und dessen Tod ein Wechselbad der Gefühle auslöst. Zwischen Scham und Freude flüchte sie aufs Land, um endlich frei zu sein. Begleitet wird sie von ihrem Sohn, Francis, der auf einen anderen Stern zu leben scheint und Martha, ihre Angestellte und Freundin. Cora blüht auf, läuft mit ungekämmten Haaren und im Männermantel durch den Schlamm der Landschaft und fühlt sich pudelwohl. Diese Befreiung macht sie unglaublich sympathisch und man ist gern mit Cora zusammen. Bei ihr erlebt man die Seiten der Gesellschaft gut mit, kleingehaltene Ehefrau und interessierte Witwe, die sich ihre Meinung nicht mehr nehmen lässt. Aber trotzdem, ab und zu, auf die schiefe Bahn gelangt und gemaßregelt werden muss. Man spürt, dass hier schon das Bild der Frau im Wandel ist.

Natürlich kommt ein Mann in Coras neuen Leben vor, aus dem alten hat sie noch einen Arzt im Schlepptau, und zwar Pfarrer William Ransome. Ein gebildeter Mann, der mit Frau und seinem drei Kindern in einem kleinen Ort lebt, der im nirgendwo liegt. Cora kann nicht glauben, was sie dort vorfindet und ist sprachlos, dass William diese Existenz reicht, beide halten mit ihrer Meinung nicht hintern Berg und liefern sich gern ein Streitgespräch nach dem anderen, aber nicht nur das blüht in ihnen auf, sondern auch eine unaufhaltsame Anziehungskraft. Bei William fällt mir nur ein, er ist auch nur ein Mann, aber sympathisch und mit einem guten Herzen.

Das sind eigentlich die beiden Hauptfiguren, aber in ihren Flugschneisen gibt es noch genug Freunde, Bekannte und Dorfbewohner, die alle mitspielen und jeder für sich eine tolle Figur abgegeben haben. Es war ein richtiges Spektrum aus Verwirrungen aus Liebe, Angst, Pflicht, Glauben, Wissenschaft, Freundschaft, Geheimnissen und je weiter man lass umso mehr spitze sich manche Lage zu. Natürlich darf die Schlange nicht vergessen werden, die immer wieder für Aufregung sorgte. Ein absolut gelungener Mix aus Wandlungen und Herzensangelegenheiten, der sprachlich überaus einnehmend war. Ach, was sage ich, ich fand ihre Wortspiele und Kombinationen erfrischend, gewandt, spielerisch eingeflochten und somit wunderbar atmosphärisch.

So richtig wusste ich nicht, was auf mich zukommen würde, aber ich hatte unglaublich Freude dabei, diesen Roman zu lesen und mich in eine Welt zu begeben, die in Umbruch ist und doch auch auf altes Bewährtes zurückgreift. Das Herz tickt ja in jeder Epoche gleich und füllt einfach Hunderte vonseiten immer wieder neu. Ein herrlicher edel anmutiger und intelligenter Roman, der so viel zu entdecken hatte und mir bis zur letzten Seite gefallen hat. Sarah Perry muss ich im Auge behalten, denn von ihrer Erzählweise kann man süchtig werden.