Rezension

Sprachgewaltiges Porträt einer Frau und einer Gesellschaft

MTTR -

MTTR
von Julia Friese

Bewertet mit 5 Sternen

„MTTR“ von Julia Friese ist nur auf den ersten Blick ein Buch über Mutterschaft. Denn es geht nicht nur ums Muttersein und Mutterwerden, sondern um eine ganze Generation und ihren Umgang mit der Welt. In teils gewöhnungsbedürftiger, aber immer präziser Sprache seziert Julia Friese meisterhaft die Verhaltensweisen einer ganzen Gesellschaft.

 

Inhaltlich ist „MTTR“ schnell zusammengefasst: Teresa, eine junge Frau aus der Millenial-Generation, wird schwanger. Als Leser*innen begleiten wir sie auf ihrem Weg zur Mutterschaft: von den Besuchen beim Gynäkologen bis zu den Gesprächen mit ihrem Partner Erk, der Offenbarung gegenüber den Eltern und dem Gang zum Geburtsvorbereitungskurs und in die Klinik. Vordergründig eine so profane Abfolge von Ereignissen, steckt in jeder Szene so viel Sprengstoff, dass das Buch einen regelrecht aufgerüttelt zurücklässt. Dabei muss man sich an Julia Frieses reduzierten, nüchternen Sprachstil erst einmal etwas gewöhnen.

 

Der Roman lässt keine Wunde aus, um Salz hineinzustreuen: Die Dialoge sind so lebensnah, die Figuren mit ihren Verhaltensweisen so authentisch, dass sie ebenso gut aus den Seiten hervorspringen könnten. Und gerade das trifft besonders tief, denn es zeigt schamlos und ungeschminkt, wie Menschen miteinander umgehen. Teresas Eltern sind kontrollierend, distanziert und auf Erfolg gepolt, Erks Eltern überbehütend und übergriffig. Der Geburtsvorbereitungskurs kennt nur Überflieger und vermittelt ein Gefühl von Unzulänglichkeit und Hilflosigkeit, während die gleichaltrigen Freunde ihre Überforderung durch Witze und Distanzierung zu überspielen versuchen. Teresa schwimmt in diesen Reaktionen mit all ihren eigenen Sorgen und Ängsten, die sie zwar genau reflektiert und sich bewusst macht, jedoch nie überwinden kann. So schonungslos direkt ist das Buch erzählt, dass wir als Leser*innen förmlich in ihrem Kopf zu stecken scheinen und, genau wie Teresa, nicht aus ihrer Haut können.

 

„MTTR“ beschreibt ein Lebensgefühl, mit dem sich viele Menschen aus Teresas Generation sicher genau identifizieren können. Schonungslos seziert das Buch das Zusammenleben in einer Gesellschaft, die sich weiterentwickeln möchte, aber doch immer in alten Verhaltensmustern stecken bleibt. Unbedingte Leseempfehlung!