Rezension

sprachlich brillant, inhaltlich Schwächen

Zeitgruppe Null - Dirk Bathen

Zeitgruppe Null
von Dirk Bathen

Bewertet mit 4 Sternen

„...Die Technik fragt nicht danach, wem sie dient...“

 

In einem Hamburger Einkaufszentrum schießt ein Amokläufer um sich und begeht Selbstmord. Acht Menschen sind tot. Der Fall landet auf dem Tisch von Kommissar Breidel.

Währenddessen legt Professor Neumann seinen Chef Klamberg die Kündigung auf den Tisch. Er hatte nur die Wahl, Rückgrat zu zeigen oder sich als Marionette benutzen zu lassen. Er ist nicht bereit, Klambergs Idee vom fremdbestimmten Hirndoping mitzutragen. Kurze Zeit später ist Neumann tot.

Der Autor hat einen etwas anderen Kriminalroman geschrieben, der aktuelle Themen aufgreift und gekonnt zuspitzt.

Der Attentäter war Mitglied eines Vereins, der sich die Entschleunigung des Lebens zum Ziel gesetzt hat. Klamberg dagegen plant, Menschen mit Aerosolen so zu beeinflussen, dass sie dem Prinzip „Schneller, höher, weiter“ dienen. Erste Politiker zeigen sich für seine Gedanken aufgeschlossen.

Das Team der Polizisten hat einige private Probleme. Breidel weiß, dass seine Ehe an einem seidenen Faden hängt, Anja Mocks Freund ist auf einem Selbstfindungstrip und Fink fühlt sich unterfordert. Er möchte im digitalen Bereich der Polizei arbeiten. Dementsprechend schleppend gehen die Ermittlungsarbeiten vor sich.

Dem Autor gelingt es, Inhalt und Sprachstil zu einer Einheit zu verknüpfen. Es gibt einige Kapitel, die den Handlungsablauf entschleunigen. Allerdings sinkt in dem Moment auch die Spannung. Nicht jeder dieser Einschübe ist für den Ablauf des Geschehens wirklich notwendig. Bei manchen Abschnitten erschließt sich der Sinn erst im Nachhinein. Gerade aber dort zeigt der Autor, dass er das Spiel mit Worten und die Auswahl passenden Metapher ausgezeichnet beherrscht. Die bildhafte Sprache, die häufige Verwendung von Vergleichen, die Wortgewalt mancher Sätze konnten mich begeistern. Im Vorlauf des Amoklaufs zum Beispiel werden Gedanken und Emotionen des späteren Täters mit Begriffe aus dem Bereich der Informatik wiedergegeben. Breidels innere Zerrissenheit, das Wissen um seine Unzulänglichkeiten, Anjas tiefe seelische Verletzung, die Machtgier von Politikern, die über Leichen gehen, sind Themen, die sprachlich gekonnt umgesetzt werden. Dazu gehört auch die Charakteristik von Klamberg, der mit seinen Medikamenten den Menschen am liebsten nach seinem Bild formen möchte. Die Tatsache, dass schon viele freiwillig zu stimulierenden Substanzen greifen, ist für ihn ein wichtiges Argument. Doch auch alltägliche Dingen werden sprachlich neu formuliert. Wer kennt nicht die Trägheit eines Montagmorgens?

Dafür findet der Autor den Begriff der Eingliederungshärte, und dies ist nicht die einzige aussagekräftige Wortschöpfung.

Allein für die Sprache hätte das Buch von mir 5 Sterne bekommen, doch inhaltliche Schwächen sorgen für eine Reduzierung. Das Ende ist mir zu offen. Hier wären ein paar Sätze mehr angebracht gewesen. Das betrifft weniger den Kriminalfall, mehr die Konsequenzen im Bereich von Politik und Wirtschaft. Dagegen wäre bei den komplizierten privaten Beziehungen der Protagonisten weniger mehr gewesen.

Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen. Die Gedankenspiele des Autors sind gar nicht so weit von der Realität weg, wie es beim Lesen auf den ersten Blick scheint. Was heute schon mit medikamentöser Beeinflussung möglich ist, zeigt sich in nicht nur im Bereich des Sportes und des Militärs. Auch die Konsequenzen, die sich aus obigen Zitats ergeben, sind heute schon Realität.