Rezension

Sprachlich überzeugend, inhaltlich keine klare Ausrichtung

Sechzehn Wörter - Nava Ebrahimi

Sechzehn Wörter
von Nava Ebrahimi

Bewertet mit 3.5 Sternen

Zeit, die Erinnerung zu überschreiben

„Von einem neuen Ort angezogen werden allein reicht nicht. Der alte Ort muss einen auch wegschieben. „Ich glaube“, sagte er, nachdem er die Tasse wieder abgestellt hatte, „dass man immer eher weggeschoben wird, auch, wenn man glaubt, angezogen zu werden.“

 

Inhalt

 

Bereits als Kind kommt die junge Iranerin Mona Nazemi nach Deutschland und wächst dort auf, sie selbst sieht sich als Deutsche und merkt ihre Fremdartigkeit eher in den Verhaltensweisen ihrer Mitmenschen, als in ihrem eigenen Denken. Allerdings erhält sie sich auch die Verbindungen zur Heimat, in der ihre Großmutter immer noch lebt und ihr leiblicher Vater ebenfalls. So anders ist das Leben dort, bietet ganz andere Reize. Für Mona sind es die Besuche in ihrem Heimatland, die sie immer wieder reflektiert und auch die Liebe zu Ramin, einem Iraner, der mittlerweile selbst verheiratet und Vater geworden ist. Es fällt ihr schwer sich ein ständiges Leben im Iran vorzustellen, doch sie liebt auch die dortigen Eindrücke und die Menschen in ihrem Leben. Als ihre Großmutter stirbt, bricht eine elementare Stütze aus der kindlichen Erinnerung weg und Mona reist gemeinsam mit ihrer Mutter in ihr altes Zuhause. Doch bei ihrer Rückkehr nach Deutschland muss sie erkennen, dass es nicht das eine, einzig wahre Leben ist, das sie ihr eigenen nennt, sondern vielmehr eine kleine Facette ihrer Persönlichkeit. Es gibt da eine Mona in Deutschland, doch obwohl sie bestens integriert ist, schleicht sich ihre wahre Herkunft immer wieder in die Gegenwart ein.

 

Meinung

 

Die junge Autorin Nava Ebrahimi, schreibt in ihrem Debütroman sehr empathisch und mit viel Fingerspitzengefühl von einem Leben zwischen zwei Kulturen, von gegensätzlichen Erwartungen und konträren Ansprüchen. Dabei versetzt sie den Leser direkt in den Kopf ihrer Hauptprotagonistin Mona, die als Ich-Erzählerin auftritt und deren Erinnerungen so lebendig und eindringlich wirken, dass man meint selbst dabei zu sein. Scheinbar nebenbei erfährt man auch die familiären Umstände, die sie von einer Kindheit in Persien in ein Leben nach Deutschland geführt haben, erkennt die Zwänge denen ihre Mutter ausgesetzt war und die Ansprüche der Großmutter an eine Frau, die es immer noch nicht geschafft hat sich Mann und Kind zuzulegen.

Anders als in vielen Romanen über die Herkunft und die Liebe zur Heimat, bleibt Mona ein sehr sachliches Wesen und trauert ihren verpassten Chancen in einem Leben im Iran nicht nach, auch spürt man die innere Zerrissenheit nicht wirklich, denn ihrer Identität ist sie sich gänzlich bewusst. Das hat mir gut gefallen, weil ich nicht glauben mag, dass ein Leben in der Fremde immer nur mit dem Verlust des Heimatgefühls einhergeht.

Dennoch bleibt die Erzählung hinter meinen Erwartungen zurück, weil mir einfach die klare Ausrichtung fehlt, eine direkte und greifbare Entwicklung, eine Verbindung zwischen der persönlichen Geschichte und der Außenwelt. Alles dreht sich im Kreis, die Erinnerungen speisen den Text und bleiben doch nur eine Abbildung vergangener Zeiten.

Die Verluste, die Trennungen und der von mir erwartete Schmerz, bleiben aus. Mona distanziert sich von Emotionen, sie handelt mit Bedacht und nicht immer mit dem Herzen. Sie lebt einfach irgendwie vor sich hin, nimmt, was sich ihr bietet und denkt ohne große Wehmut an anderes. Man könnte meinen hier einen oberflächlichen Charakter vor sich zu haben, doch das ist es ganz und gar nicht, denn die Tiefgründigkeit ist spürbar und präsent.

Vielleicht ist dieses Verwischen einer klaren Aussage auch das Ziel der Autorin, die sich damit diverse Denkansätze offenhält und ihre Leser nicht in eine bestimmte Richtung drängt, doch genau das hätte ich mir erhofft.

 

Fazit

 

Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen Roman über eine junge Frau mit fremden Wurzeln und Bindungsängsten in der Gegenwart, die sich hier auf Spurensuche begibt und ihre Erinnerungen ausgräbt, um sie mit neuem Leben zu füllen. Sehr gelungen sind die kleinen, unscheinbaren Momentaufnahmen, die zahlreiche Differenzen zwischen Persien und Deutschland sichtbar machen. Auch sprachlich berührt das Buch, nur bleibt kaum etwas hängen, keine Assoziation, kein Wiedererkennen, kein Schmerz, keine Liebe, keine Endgültigkeit – seltsam unpersönlich bleibt der Text, fragil die Aussage und müsste ich das Buch mit Farben bewerten, so würde ich Grau wählen.