Rezension

Sprachlich unfassbar gut - das Ende aber zu seicht

Geister
von Nathan Hill

Bewertet mit 4 Sternen

Ein Anruf der Anwaltskanzlei Rogers & Rogers verändert schlagartig das Leben des Literaturprofessors Samuel Anderson . Er, der als kleines Kind von seiner Mutter verlassen wurde, soll nun für sie bürgen: Nach ihrem tätlichen Angriff auf einen republikanischen Präsidentschaftskandidaten verlangt man von ihm, die Integrität einer Frau zu bezeugen, die er seit mehr als zwanzig Jahren nicht gesehen hat. Ein Gedanke, der ihm zunächst völlig abwegig erscheint. Doch Samuel will auch endlich begreifen, was damals wirklich geschehen ist. - Ein allumfassender, mitreißender Roman über Liebe, Unabhängigkeit, Verrat und die lebenslange Hoffnung auf Erlösung, ein Familienroman und zugleich eine pointierte Gesellschaftsgeschichte von den Chicagoer Aufständen 1968 bis zu Occupy Wall Street.

Meine Meinung:
Dieser dicke graue Wälzer sollte wirklich niemanden abschrecken, denn es lohnt sich definitiv "Geister" mal in die Hand zu nehmen (auch wenns auf Dauer etwas schwer ist :D). Denn Nathan Hill hat mich mit seinem Sprachstil hier wirklich absolut begeistert. 

Wir bekommen hier einen gesellschaftskritischen Roman, der wirklich sehr viele Aspekte der Gesellschaft, der Politik, aber auch die neuen und alten Medien unter die Lupe nimmt und kritisch beleuchtet. Dabei geht es insbesondere um die Aufstände in Chicago (1968), aber es gibt auch wirklich zahlreiche, erschreckend realistische Parallelen zur Gegenwart (obwohl Hill anscheinend schon vor 10 Jahren mit dem Buch begonnen hat). Eingeflochten in diese Kritik, die eben insbesondere die Schwächen unserer Gesellschaft und unserer Welt thematisiert, betrachtet Hill aber auch einzelne Figuren. Dabei lernen wir einerseits Samuel kennen, der als Kind von seiner Mutter verlassen wurde, wir kommen aber auch dem computerspielesüchtigen Pwnage und Laura, einer notorischen Lügnerin, die einfach alles tut, um ihr Studium zu schaffen, näher. Es gibt natürlich noch sehr viele weitere Charaktere, die wir kennen lernen und deren (Fehl-)Entscheidungen, Entwicklungen im Leben und Schwächen  wir miterleben dürfen. Besonders fasziniert hat mich immer wieder Hills Sprachstil. Obwohl er so viele Themen anspricht, geht meiner Meinung nach nie der Faden verloren. Er fokussiert verschiedene Schwächen und Probleme von Menschen und spricht einem dabei viel zu oft aus der Seele. Das war wirklich sehr beeindruckend und wenn man dann noch überlegt, dass es sich um sein Debüt handelt, kann man einfach nur den Hut ziehen. 

Leider hat mich das Ende aber nicht ganz überzeugt, weswegen ich leider einen Stern abziehen muss. Hill war für mich durch seinen eigenwilligen Schreibstil sehr mutig. Diesen Mut hat er aber nach und nach verloren, denn die Auflösung am Ende ist doch recht enttäuschend. Vielleicht ist er bis zum Ende dann doch zu oft vom Wesentlichen abgeschweift, denn die Auflösung wird viel zu flott abgehandelt. Alles bleibt sehr seicht, sehr flach, sehr oberflächlich. Seine Quintessenz und Moral wird zwar sehr klar (weil er auch immer wieder mit dem riesigen Zaunpfahl winkt und dem Leser in kleinsten Worten erklärt, was genau er aussagen will), aber es bleiben dennoch zu viele kleine Handlungsstränge offen. Vieles wirkt zu konstruiert (insbesondere die Auflösung der Beziehung zwischen den einzelnen Charakteren ist oftmals einfach zu passend) und teilweise sogar albern. Ehrlich gesagt, wird mir Hill letztendlich vielleicht sogar einen Ticken zu feige, etwas negatives zu wagen. Hill überschüttet uns am Ende nämlich mit einem recht kitschigen Happy End, was meiner Meinung nach absolut nicht sein müsste. Ich hätte mir hier viel mehr Mut zum "aus der Reihe tanzen" gewünscht. Vielleicht schafft Hill das ein anderes Mal. Ich freu mich auf jeden Fall auf weitere Werke aus seiner Feder :) 

Fazit: 
Ein sprachlich absolut beeindruckendes Debüt, welches gesellschaftskritische Themen aufgreift, dabei aber auch nie die einzelnen Figuren aus den Augen lässt. Sprachlich hat mich Hill absolut überzeugt, am Ende war er mir leider ein bisschen zu feige. Ein kitschiges Happy End habe ich bekommen, hätte ich hier aber absolut nicht gebraucht. Ich freu mich total auf mehr von Nathan Hill, auch wenn ich mir wünsche, dass er das nächste Mal noch einen Ticken mutiger wird. 4 Sterne!