Rezension

Sprachlos

Vox - Christina Dalcher

Vox
von Christina Dalcher

Bewertet mit 4 Sternen

In einer nicht allzu fernen Zukunft hat sich das Leben in den USA stark gewandelt. 50% der Bevölkerung, alle Frauen nämlich, dürfen maximal noch 100 Wörter am Tag sagen. Die erzkonservativen, christlichen Fanatiker haben sich durchgesetzt und wollen zurück in die gute alte Zeit: Frauen an den Herd und so. Auch Dr. Jean McClellan ist betroffen, umso mehr, da sie auf dem Gebiet der Neurolinguistik gearbeitet hat. Die Betonung liegt auf hat, denn natürlich wurde sie an weiteren Forschungen gehindert und ins häusliche Leben verbannt. Bis zu dem Tag als der Bruder des Präsidenten plötzlich ihre Hilfe benötigt.

Dalchers dystopischer Roman hat es wirklich in sich. Ihr Szenario wirkt zuerst völlig unrealistisch, doch beim Lesen erwischt man sich zunehmend beim Gedanken, dass zumindest Ansätze jetzt schon real sind. Auch die dramatischen Umbrüche im Roman haben klein angefangen, das lässt die Autorin immer wieder durchblicken. Anhand von Jeans Sohn Steven wird zudem klar, welche Maschen benutzt werden, um die nächsten Generation mit dem „richtigen“ Gedankengut heranzuziehen. Ich fand die beschworenen Szenen sehr plastisch und dadurch umso beklemmender. Aber der Autorin gelingt es nicht nur diese düstere Gesellschaft sehr authentisch zu beschreiben, sondern sie verbindet das mit einem interessanten medizinischen Phänomen. McClellan befasst sich beruflich mit Aphasie, der gesellschaftlich aufoktroyierten Variante wird also die pathologische gegenüber gestellt. Die medizinischen Hintergründe dazu sind sehr gut beschrieben und auch für den Laien nachvollziehbar. Allgemein fand ich den Erzählstil sehr angenehm, flüssig zu lesen und immer fesselnd. Manchmal gerät die Handlung etwas zu plakativ, auch kleine Ungereimtheiten fallen auf, unterm Strich ist „Vox“ aber ein toller Roman, der viel Stoff zum Nachdenken hinterlässt.