Rezension

Sprachlos.

Es wird keine Helden geben - Anna Seidl

Es wird keine Helden geben
von Anna Seidl

Bewertet mit 5 Sternen

Während des Lesens habe ich mir immer wieder Sorgen gemacht, dass in meiner Rezension am Ende nur "Ich bin einfach sprachlos" stehen würde und oh mein Gott, ich bin einfach sprachlos. Ich weiß nicht wie die Autorin das gemacht hat, aber sie schreibt als hätten ihre Wörter eine eigene Seele. Sie übermitteln so viele Gefühle, dass einem das eigene Herz in Tausend Scherben zerspringt, vor Sorge fast vergeht, vor Wut zu platzen droht und einem der Kummer überwältigt. Die Geschichte schlägt ganz schön auf den Magen und fängt die eigenen Gedanken ein, ziehen sie zur Handlung und zur kompletten Gefühlswelt der Protagonistin.

Bevor ich das Buch in die Hand genommen habe, hatte ich schon ein wenig Bammel davor, dass man jetzt mitten in den Amoklauf geschmissen wird und das alles einige Thriller-Züge annimmt. Zum Beispiel wie es sein würde, sich vor einem Amokläufer über eine längere Zeit hinweg verstecken und mitbekommen zu müssen, wie ein Mitschüler nach dem Anderen erschossen wird. Also ich dachte, das würde den größten Teil der Geschichte ausmachen und irgendwie war ich fast erleichtert, dass dem nicht so war. Man bekommt schon über einige Seiten hinweg den Amoklauf geschildert, aber es geht mehr, um die Zeit danach und um das Weiterleben nachdem man "überlebt" hat.

Das gesamte Buch bekommt man aus der Sicht von Miriam erzählt, die dabei auch ihren festen Freund verloren hat und zusehen musste, als er erschossen worden ist, aber auch bei einigen anderen Dingen. Sie als Protagonistin war so authentisch und nachvollziehbar gestaltet, dass man das Gefühl bekam, alles verstehen zu können, was in ihr vorging. Kann man so etwas überhaupt richtig verstehen?

Die Autorin hat "Es wird keine Helden geben" wirklich sehr, sehr geschickt gestaltet. Erst "erlebt" man den Amoklauf mit und dann kommen immer wieder kleine Wechsel zwischen dem "Danach" und dem "Davor". Es ist ein heftiges Gefühl über die zerbrochene Welt der Protagonistin und ihren Umstehenden zu lesen, um dann einen Flashback von einer schöneren, früheren Zeit vor die Nase gestellt zu bekommen. Das sind die kurzen Momente der Freude und des Glücks, des lebendigen Lebens, um danach wie aus dem Traum zu erwachen und die zurückgebliebenen Scherben des Lebens wieder vor sich zu sehen. Immer wieder hatte ich nach so etwas das Gefühl aufzuwachen, das kann man fast gar nicht beschreiben.

Kein Einziger der Schüler in diesem Buch war perfekt. Alle haben den Amokläufer bis hin zu dieser Tat aufs übelste gemobbt, den Abzug zwar nicht selbst gedrückt, jedoch dazu verholfen, dass es so weit kommt. Aber...

"Das Leben ist eine zerbrechliche, kurze Sache. Jeder lebt nur ein einziges Mal. Jeder ist etwas Besonderes. Und deshalb zerstört man nicht nur einen Menschen, sondern eine ganze Welt. Deshalb hat niemand das Recht, eine Waffe auf dich zu richten. Niemals." (S.  251)

Auch Miriam war an den Mobbing-Aktionen hin und wieder beteiligt, hat da einfach nicht zu viel drüber nachgedacht. Danach ist ihr erst so richtig bewusst geworden, was sie überhaupt angerichtet hat, was für einfache Worte vielleicht ein anderes Schicksal bewirkt hätten. "Na klar, wenn alles zu spät ist, dann denken die Menschen wieder nach" könnte man jetzt sagen, aber ist es wirklich jemals zu spät? Manche meinen ja, manche nein, aber ich fand es gut, dass sie sich Gedanken darüber gemacht hat. Dieses Buch ist wie ein Denkzettel an sich selbst.

Fazit:

Dafür, dass dieses Buch mich so sprachlos zurückgelassen hat, habe ich doch ganz schon was geschrieben. ^^' Ich bin mir nicht sicher, ob mir die Miriam aus dem "Vorher" sympathisch war, aber es ist wichtig, wer man im "Jetzt" ist. Sie hat ihre Macken, ist aber sehr authentisch und mir doch mehr und mehr ans Herz gewachsen. Wenn ich mir dieses Buch ansehe, darüber nachdenke was ich dadurch gerade alles erlebt, durchlebt habe, welch genialer Schreibstil da drin steckt und dann am Ende entdecke, dass die Autorin dieses Buch in etwa in meinem Alter veröffentlicht hat... Hier kommt dann wieder der "ich bin sprachlos"-Teil. Allerdings wäre ich auch, ohne dieses Detail zu wissen, weiterhin beeindruckt von diesem Buch und dieser Fakt ist unumstößlich. 

Zitat:

"Manchmal kommt es uns so vor, als wäre das Leben vorbei. Aber so ist es nicht. Das Leben schreitet voran. Und irgendwann, wenn wir uns besser fühlen, gehen wir wieder mit."