Rezension

Spurensuche

Pavel und ich - Sandra Brökel

Pavel und ich
von Sandra Brökel

Bewertet mit 5 Sternen

Spurensuche #1: Sandra Brökel ist ein Adoptivkind hat ihre ersten Lebensjahre in einem Kinderheim verbracht. Heute arbeitet sie als Schreib- und Trauertherapeutin. Vor einigen Jahren will sie ihre leiblichen Eltern kennenlernen und stößt dabei auf der Suche nach ihren Wurzeln auf ein Werk der Fachliteratur aus den 1960ern über Beziehungen von adoptierten Kindern zu ihren leiblichen und Adoptiveltern des tschechischen Kinderarztes und Psychiaters Pavel Vodák. Eigentlich genau das was sie sucht, wenn es nicht in einer Sprache verfasst wäre, die sie nicht versteht. Irgendetwas lässt sie trotzdem immer wieder an das Buch und seinen Verfasser denken

Spurensuche #2: Einige Jahre danach erkennt Sandra Brökel in ihrer Freundin und Kollegin Paula die Tochter Pavel Vodáks. Es ist wie ein Wunder, eine Art Bestimmung. Denn Paula übergibt Sandra eine alte Arzttasche ihres Vaters, die randvoll ist mit Notizen, Aufzeichnungen, Lebenserinnerungen von Pavel, die er 8o-jährig kurz vor seinem Tod im Jahr 2002 verfasste.

Sandra und Paula sind Freundinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, rein äußerlich. Sandra ist leger, ungeschminkt, praktisch. Paula könnte als Diva durchgehen, stets modisch gekleidet, markenbewusst, Kleidung, Schuhe, Accessoires alles aufeinander abgestimmt. Was die beiden Frauen verbindet, ist das traumatische Erlebnis von Verlust in der Kindheit. Bei Sandra waren es die Jahre im Kinderheim, Paula verlor mit 12 Jahren - als man sie noch Pavli nannte - ihre Heimat. Denn ihr Vater Pavel entschied sich 1970 zur Flucht aus Tschechien mit der gesamten Familie.

Alles begann mit einer Arzttasche. Sandra Brökel setzte sich intensiv mit Pavels Vodáks Leben auseinander. Seine Aufzeichnungen bildeten die Grundlage für den Roman „Das hungrige Krokodil“, den Sandra Brökel in einer einmaligen Aktion zu schreiben begann.

Das Leben schreibt die schönsten Geschichten. Dieser Satz bewahrheitet sich für Sandra Brökel.

„Vielleicht sollte es tatsächlich so sein, dass ich ihn (Pavel) und sein Buch finde. Vielleicht bedeutet Zufall tatsächlich so etwas wie „mir zugefallen“.“

Sandra verinnerlicht sich das Leben Pavels, beginnt dessen Heimatstadt mit seinen Augen zu sehen. Mit der erwachsenen Paula fährt sie nach Prag und mit der 12-jährigen Pavli steht sie vor der Tür der ehemaligen Wohnung der Vodáks.

Das Krokodil als literarisches Bild für das Böse, das träge vor sich hindöst und plötzlich zuschnappt, beherrscht den Roman, den Sandra Brökel aus Pavel Vodáks Erinnerungen schreiben konnte. „Pavel und ich“ ist ein ungeheuer intensives Erleben dieses Schreibprozesses. Sympathisch, warmherzig humorvoll und engagiert erzählt Sandra Brökel von ihrer Auseinandersetzung mit Pavels Leben, aber auch von ihrer eigenen komplizierten Familiengeschichte. Es ist gleichzeitig ein Plädoyer für Gedankenfreiheit und gegen jede Form von totalitären Regimes. Aber es ist auch ein Plädoyer für Freundschaft, eine Freundschaft über alle Grenzen hinweg.

„Ich sehe mich nicht als Schriftstellerin. Und ich bin nicht berühmt. Ich habe das Leben des Pavel Vodák nur für meinen Freundin, seine Tochter, aufgeschrieben, damit sie mit sich und ihrem Leben ins Reine kommt“

Paula verstarb unerwartet im Oktober 2017. Ihren Roman „Das hungrige Krokodile“ hat Sandra Brökel ihrer Freundin Paula, ihrem Paulchen, der kleinen Pavli gewidmet.