Rezension

Staat X. Wir haben die Macht!

Staat X - Carolin Wahl

Staat X
von Carolin Wahl

Bewertet mit 5 Sternen

„Es geht los, #StaatX“

Die Türen der Schule schließen sich, für eine Woche sind die Schüler im Schulgebäude auf sich gestellt, übernehmen die Verantwortung und verteilen unter sich die Macht in Politik, Justiz und Wirtschaft. Staat X ist ein Experiment. Ohne Kontrolle und Eingreifen der Erwachsenen werden die Schüler erfahren, wie ein richtiger Staat funktioniert und entscheiden, was geschieht, organisieren das alltägliche Leben in der Regierung, Polizei, im Kino, den Geschäften, Lokalen und Zeitungsredaktionen.

Bereits bei der Wahl des Präsidenten zeigt sich jedoch, dass hinter den Kulissen an der Machtspirale gedreht wird. Denn nicht die verantwortungsbewusste Johanna, die einen Hauptanteil des zweijährigen Vorbereitungsprozesses getragen hat, darf den Staat führen, sondern Lars wird das höchste Amt im Staat bekleiden.

Und auch sonst versuchen einige, hinter dem Rücken der Kontrollorgane ihr eigenes Ding zu drehen. Bald werden Grenzen überschritten, und das Experiment Staat X nimmt bedrohliche, wenn nicht gar lebensbedrohliche Züge an...

„Staat X. Wir haben die Macht!“ ist ein Buch für Jugendliche, und Carolin Wahl dürfte mit ihrem Schreibstil eben jene besonders ansprechen. Sie verwendet trotz der vorhandenen Ernsthaftigkeit einen lockeren und mühelos zu lesenden Ton, der gleichwohl glaubhaft und authentisch klingt, den gegenwärtigen Zeitgeist und die Probleme in der Gesellschaft widerspiegelt und eine Identifizierung möglich macht. In maßgeblichen Momenten schlägt er um und lässt die Brisanz der Ereignisse erkennen. Dadurch schafft sie es, den erwachsenen Leser ebenfalls einzubeziehen.

Die Handlung selbst ist zunächst ruhig angelegt, erfährt dann im Verlauf des Geschehens eine ansteigende Beschleunigung. Während zu Beginn Staat X als interessantes Schulprojekt, in dem jeder seine Aufgabe hat, startet, geschieht schon an Tag 1 Unvorhergesehenes, das Ursache für folgenreiche Kettenreaktionen ist.

Carolin Wahl gelingt es hervorragend, sich mit den in einem Staat vorherrschenden Gegebenheiten auseinanderzusetzen, den demokratischen Gedanken, aber auch die Herausbildung von dunklen Seiten und diktatorischen Verzerrungen darzustellen, wenn es um Politik, Wahlmanipulation, die Pressefreiheit und deren Einschränkung, die Beeinflussung von Personen und auftretende Willkür geht. Die Autorin vermag es, in zum Teil erschütternder Weise zu vermitteln, wie Menschen agieren und reagieren, wenn sie mit Macht konfrontiert werden.

Vor allem vier Schüler unterschiedlichen Charakters präsentieren in wechselnden Kapiteln ihren Blick auf Staat X:

Adrian, allseits beliebt und angesehen. Tatsächlich aber sehnt er sich nach Anerkennung und echter Zuneigung. Die Schule ist der einzige Ort, an dem er sich nicht so klein fühlt, wo er seine Unsicherheit und Zerrissenheit überspielt und zu einer Person wird, die andere wollen und brauchen.

Melina, liebenswürdig und zurückhaltend, hasst jede Art von Aufmerksamkeit. Sie hat mit ihren inneren Dämonen zu kämpfen, und auf ihrer Haut bilden unsichtbar für die anderen dünne, weiße Narben ein Muster aus Schmerz.

Vincent fühlt sich leer und allein. In seinem Leben nehmen Antriebs- und Perspektivlosigkeit viel Raum ein. Als Polizist in Staat X fühlt er sich binnen kürzester Zeit einer Truppe zugehörig. Da entsteht etwas, an dem er festhalten kann, was er nicht für möglich gehalten hat.

Lara, die Neue, ist der perfekte Sonnenschein. Doch sie weiß, was es heißt, eine Außenseiterin zu sein, weil sie schon so oft die Schule wechselte. Sie muss über ihren eigenen Schatten springen, um zu tun, was mit ihrem Wesen nichts gemein hat. Jenem Wesen, das Zahlen liebt, die Naturwissenschaften, also Dinge schätzt, die logisch und einfach sind und klaren Strukturen folgen.

Daneben lebt Staat X auch von all den weiteren differenziert ausgearbeiteten Schülerpersönlichkeiten, die sich in das stimmige Gesamtkonzept einfügen.

Staat X ist eine Fiktion, beinhaltet allerdings unbestreitbar Parallelen zum realen Zeitgeschehen, regt unweigerlich zum Nachdenken an und ist deshalb nicht nur als (Schul)Lektüre sehr zu empfehlen.