Rezension

Stadtliebe

Eine Frau in New York - Vivian Gornick

Eine Frau in New York
von Vivian Gornick

Bewertet mit 5 Sternen

Dieser Roman ist nicht jedermanns Sache: ich liebte ihn.

Dieser Roman gehört zu der literarischen Gattung „stream of consciousness“, eine Art des Romaneschreibens, die mit Victor Hugo und Walter Benjamin im 19. Jahrhundert begonnen hat, wie uns die Autorin herself im Buch mitteilt. Und James Joyce auf die Spitze trieb.

 Die Interaktion mit sich und dem Leser, so dass das Buch eine Art Selbstgespräch und Gespräch mit dem Lesenden geworden ist, läßt mich manchmal schmunzeln. Es ist als, ob Vivian zum Tee gekommen sei und mir von ihren letzten Spaziergängen durch die Stadt ihres Herzens und ihrer Seele erzählte. Sie greift dieses Erlebnis heraus, dann jenes, Ähnliches erzähle ich auch, wenn ich von der großen Stadt nach Hause komme. 

 Die Uhren ticken anders in der Großstadt. Und besondes in New York, sagt die Autorin, die findet, dass ihre Stadt mit keiner anderen vergleichbar ist.  Sie ist die Stadt des Miteinander und des Gegeneinander, immer noch ein Schmelztiegel und nicht totzukriegen, obwohl auch die Autorin über das heutige Aussterben der Urbanität nachgedacht hat, der Mittelstand bricht weg, weil die Unternehmen wegzogen in Billiglohnländer. Aber noch ist New York nicht tot und, wie Vivian glaubt, wird es auch nie sein. Es ist viel zu quirlig und lebendig, als dass man sich seine Erstarrung vorstellen könnte. Hoffentlich behält die Autorin Recht!

 Der Roman hat einen großen autobiografischen Anteil: Zehn Kilometer Straße macht die Protagonistin, die eben auch die Autorin ist, jeden Tag. Zur Entspannung und zum Einsaugen des New Yorker Lebens. Ich hätte gerne gewusst, welche Schuhmarke sie bevorzugt trägt! Sie geht mit wachen Augen durch ihre Stadt, liebt sie, hasst sie, liebt sie. Sie bekommt einiges mit und davon erzählt sie in kurzen Sentenzen. 

Weiß man nun nach der Lektüre, wie New York ist? Ja und Nein. „Eine Frau in New York“ ist kein Reiseführer, das Buch gibt "lediglich" eine Seelenlage wieder, vermittelt Schwingungen, Stimmungen. Auf alle Fälle gibt es wieder, wie Vivian Gornick über New York denkt und welche Beziehung sie zu der Stadt hat. 

Aber sie erzählt auch von ihrem inneren Leben, von ihrem literarischen Leben, von Büchern, die sie kennt, von der Kunst, die sie gesehen hat, von ihren Freundschaften und von der Veränderung ihrer eigenen Lebensalter. Wie sie hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte auch die Stadt grundlegend, ja fast radikal, verändert. Ein wenig nostalgisch schaut sie zurück auf die Zeit, als die Plätze und Straßen noch niedlich und sauber waren und alles seine Ordnung hatte. 

Aber letztlich akzeptiert sie die Veränderungen, die geschahen und die geschehen. Sie sagt ja zu den urbanen Veränderungen, New York wurde schmutziger, härter, aber auch realer. 

Eines der letzten Bilder des Buches ist, wie sie sich in einer großen Menschenmenge in einem riesigen Konzertsaal mit Tausender fremder Menschen eins fühlt, allesamt Fremde, die jedoch alle gleichzeitig dasselbe wollen: die Musik in sich aufnehmen, lieben, leiden und leben. Und dieses Gefühl und diese Menschenmenge, das ist New York. Das macht die Stadt aus. 

Fazit: Man muss diese Art Bücher nicht mögen, aber wenn man sich darauf einlässt, wird man mit einer einzigartigen Atmosphäre belohnt und begreift amerikanisches Lebensgefühl.  

Kategorie: Anspruchsvolle Literatur.
Verlag Penguin, 2020

Kommentare

Emswashed kommentierte am 21. Juni 2020 um 18:45

Auf nach New York und selbst erleben!