Rezension

Ständige latente Bedrohung spürbar

Der Schrei der Füchsin - Jonna Steen

Der Schrei der Füchsin
von Jonna Steen

Bewertet mit 5 Sternen

Das ist nun schon der zweite Thriller in diesem Jahr (nach „Liebes Kind“ von Romy Hausmann), der mich in einen Zustand versetzte, indem ich für meine Umgebung unerreichbar war und ich mich nur schwer vom Buch lösen konnte. Die Autorin beschreibt gekonnt in „Der Schrei der Füchsin“ ein äußerst brisantes, gravierendes Thema.
Kurz zum Inhalt:
Runa und Stella sind Schwestern, die beide in ihrer Kindheit/Jugend vom Vater mißbraucht wurden, wobei die 12 Jahre jüngere Stella diesen Fakt vehement bestreitet. Die beiden Frauen unterscheiden sich rein äußerlich und in ihren Lebensumständen. Während die rotgelockte, robust erscheinende Runa in einer völlig verkorksten, von Gewalt geprägten Beziehung lebt, sie Geldsorgen plagen, ist die zarte, blonde, ätherisch wirkende Stella von Wohlstand umgeben. Sie hat einen Mann und Sohn Finn. Die fürsorgliche Liebe von Runa weist sie brüsk zurück und will von der gemeinsamen Vergangenheit nichts wissen. Sie hält ihre ältere Schwester für psychisch krank. Doch Runa wahrt ein bestürzendes Geheimnis, dass sie Stella offenbaren muss. Leider kommt die erschreckende Wahrheit über Umwege ans Licht und löst eine familiäre Katastrophe aus. Am Ende sind zwei Menschen tot.
Meine Meinung:
Den Thriller habe ich in einem Rutsch durchgelesen und er hat mir sehr gut gefallen. Voller atemloser Spannung verfolgte ich das Geschehen um Runa, Stella, Paul und Finn. Ich war hin- und hergerissen zwischen den Schwestern. Nach ihrer Vorgeschichte, nach ihrer gemeinsamen Vergangenheit konnte ich beiden Frauen nicht trauen. Durch die kursiv aus der Ich-Perspektive geschriebenen Absätze vor der jeweiligen Handlung befand ich mich im ständigen Zweifel. Wer war die Person, die ein Riesenproblem in sich trug und eine tödliche Gefahr bedeutete? Das blieb lange für mich sehr nebulös.
Runa war zwar eine begeisterte Kiterin, der ich die schwärmerische Freude an dem Hobby, was sie zu ihrem Beruf machen wollte, abnahm. Da erschien sie mir ganz bei sich. Doch auf der anderen Seite war sie zugedröhnt von Psychopharmaka, die Panikattacken, Wahrnehmungsstörungen und Alpträume der schlimmsten Sorte bei ihr auslösten. Lange Zeit fragte ich mich: Was ist bei Runa Realität und was spielt sich nur in ihrem Kopf ab?
Stella hingegen glänzte durch ihren Perfektionismus, ihrer unglaublichen Sorge, ihrer ständigen Angst um den kränkelnden Sohn, den sie niemals aus den Augen ließ, immer in seiner Nähe war. Über dem gesamten Geschehen verspürte ich eine latente Bedrohung, eine beklemmende Atmosphäre. Das empfand ich als wunderbar herausgearbeitet von der Autorin.
Fazit:
Der Leser erfährt auf über 300 packenden Seiten in einer eindringlichen, anschaulichen Sprache eine unfaßbare Familienstory. Die Missbrauchs-Thematik wurde sehr sensibel und nachvollziehbar, ja logisch dargestellt. Ich bin von der guten Beobachtungsgabe der Autorin und der hervorragenden Umsetzung des komplexen Problems begeistert.
Die Erzählung der beklemmenden Geschichte fand in einer lebendigen, authentischen Kulisse an der Nordseeküste statt.
„Schrei der Füchsin“ ist ein gut gewählter Titel, weil sich der Bezug am Ende der Geschichte erschließt.