Rezension

Starke Frau - ihrer Zeit voraus!

Die Zeit des Lichts - Whitney Scharer

Die Zeit des Lichts
von Whitney Scharer

Bewertet mit 4 Sternen

Die junge und als Model erfolgreiche Amerikanerin Lee Miller kommt in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts nach Paris, wo sie sich ein aufregendes Leben erträumt.  Weil das Geld knapp wird und sie nicht weiter modeln will, nimmt sie eine Assistenzstelle bei dem erfolgreichen Fotografen Man Ray an und träumt davon, als Fotografin Karriere zu machen. Zwischen beiden entwickelt sich eine LIebesbeziehung, und auch karrieremäßig profitieren beide voneinander und Lee Miller entwickelt die Technik der Solarisation. Doch Mans Besitzansprüche, Lees Freiheitsbedürfnis, ihre schwierige Persönlichkeit und ein großer Vertrauensbruch leiten das Ende dieser Partnerschaft ein ....

Vorab möchte ich erwähnen, dass es sich bei dem Roman von Whitney Scharer um eine fiktive Biografie handelt; nicht alle beschriebenen Fakten beruhen auf Tatsachen, sondern vieles entspringt der Fantasie der Autorin. Dennoch gelang es der Autorin, mir die großen und wichtigen Künstler Lee Miller und Man Ray, die den Surrealismus in der Fotografie entscheidend mit geprägt haben, näherzubringen. Die überaus empathischen und bildhaften Schilderungen veranlassten mich immer wieder, Bilder und Informationen zu googeln und mehr zu erfahren und zu sehen, wordurch ich eine Menge lernte!

Die vielschichtigen und höchst interessanten Charaktere der Protagonisten wurden genau beschrieben und ich konnte so viele Geschehnisse einschätzen und einordnen. Für mich bildet die Persönlichkeit der berühmten Fotografin zusammen mit der Zeit, in der sie sich bewegte, den Kernpunkt der Handlung.

Der fesselnde, bildhafte Schreibstil fesselte mich dabei sehr und ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen.

Während die Zeit der Beziehung zwischen Lee und Man chronologisch erzählt wurde und sich über das Kennenlernen über eine erfolgreiche Partnerschaft hin zu Vertrauensbruch und Zerstörung bewegte, wurde die Handlung immer wieder unerbrochen durch zeitlich spätere Erlebnisse Millers im Zweiten Weltkrieg, in dem sie als Kriegsreporterin arbeitete. Eingefasst wurde diese Handlung in Szenen aus dem Alter der Protagonistin. Diese Zeitsprünge waren zwar gut erkennbar, für meinen Geschmack jedoch überflüssig und machten den Lesefluss unnötig schwierig. Eine durchgehend fortlaufende Erzählung hätte ich angenehmer empfunden.

Obwohl mir Lee Miller nicht symphatisch geworden ist, fand ich diese fiktive Biografie wirklich hervorragend; sie konnte mir die Person und die Arbeit der Fotografin und vor allem ihre Persönlichkeit näherbringen, eine bemerkenswert starke, freiheitsliebende Frau, die jedoch auch viele dunkle Seiten hatte, die Männer liebte und benutzte und von diesen ebenfalls (oder erst?) sehr schlecht behandelt wurde, sodass Traumata ihr Handeln bestimmten.
Bei aller Kritik darf jedoch nicht vergessen werden, in welcher Zeit dieser Roman spielt: Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts war die Rolle der Frau eben noch eine ganz andere als heutzutage - nämlich den Männern untergeordnet und in aller Regel von diesen abhängig. Wenn uns "modernen" Frauen das Verhalten der Männer, insbesondere der Hauptperson Man Ray in etlichen Punkten sauer aufstößt und abstößt, so war Man eben ein Mann seiner Zeit, dessen Verhalten absolut zeitgemäß war. Dagegen scheint Lee Miller nicht in diese Zeit zu passen, sondern zeigte durch ihr Verhalten doch modernes Verhalten und forderte Gleichberechtigung ein - was insgesamt nicht funktionieren konnte. Doch wem soll man da den Vorwurf machen?

So ist dieser Roman nicht nur eine Geschichte über Lee Miller und Man Ray, sondern auch eine Geschichte über Frauenrechte, die Stellung von Mann und Frau in der Gesellschaft, Wünschenswertes und Folgen. Und wenn uns das Verhalten der Männer in den Zwanziger und Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts anwidert und wütend macht, so können wir uns jedenfalls darüber freuen, wie gut wir es heute im Verhältnis haben! Zu keiner Zeit ging es Frauen so gut wie in der Gegenwart - was natürlich nicht heißen soll, dass es kein Verbesserungspotential mehr gäbe!! Es ist immer noch genug zu tun.... Vielleicht werden Frauen, die in 100 Jahren über uns lesen, ähnliche Gedanken haben wie wir heute über Lee und Man?!

Ich habe durch die Lektüre dieses Buches einiges gelernt, ich wurde veranlasst, viel über die Rolle der Frau in der GEsellschaft nachzudenken und ich hatte großes Lesevergnügen - so kann ich "Die Zeit des Lichts" sicher weiterempfehlen!