Rezension

Starke Frauen und Sprache

Die Sammlerin der verlorenen Wörter -

Die Sammlerin der verlorenen Wörter
von Pip Williams

Bewertet mit 4.5 Sternen

34 Jahre arbeitete der schottische Gelehrte James Murray im 19. und frühen 20. Jahrhundert an einem Wörterbuch, das auch heute noch alle Welt kennt: am Oxford English Dictionary. Bei ihm angestellt ist Esmes Vater, der seine kleine Tochter ohne Mutter aufziehen muss und sie deshalb stets mit in die Gartenlaube nimmt, wo er als Lexikograph Zitate überprüft. Während es zunächst die heruntergefallenen Belegzettel sind, die ihr Interesse wecken, sammelt Esme bald Wörter in einem großen Koffer, die von den gebildeten Männern nicht aufgenommen werden und stellt fest, dass es insbesondere "Frauen-Wörter" sind. Viele Wörter sammelt sie auch auf dem Markt, den sie immer öfter mit dem Dienstmädchen Lizzie zusammen besucht - und hier trifft sie auch auf Frauen, die sich Emmeline Pankhurst angeschlossen haben, um für das Wahlrecht der Frauen zu kämpfen, die Suffragetten.....

Ihre Recherchen in den Archiven des Oxford English Dictionarys inspirierten die australische Sozialwissenschaftlerin Pip Williams zu ihrem ersten Roman - und ihr ist damit ein außergewöhnliches Buch gelungen über die Liebe zu Wörtern, ihren Bedeutungen und den Umgang mit Sprache im allgemeinen und Auswirkungen auf ganze Bevölkerungsschichten im besonderen.

Dabei hat die Autorin sorgfältig recherchiert und viele Details fließen in dieses Werk mit ein, in dem sie - neben der fiktiven Figur der Esme - auch zahlreichen historischen Persönlichkeiten ein Denkmal setzt. Informationen über diese (einschließlich von Bildern von James Murray und seinem Umfeld) sowie eine Zeittafel grenzen Fiktion von Realität ab.

Doch Pip Williams beschränkt sich nicht auf das Thema der "Wörter" und des berühmten Wörterbuches, sondernthematisiert auch die Frauenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Ansichten der Suffragetten, die teils mit Worten und teils mit Gewalt für die Einführung des Wahlrechts kämpften, werden anschaulich geschildert. Dazu kommt der Einfluss des Ersten Weltkrieges auf das Wörterbuch, aber vor allem auch auf die Menschen sehr plastisch zum Ausdruck.
Neben guter Unterhaltung habe ich auch viel Wissen mit dem Lesen dieses Buches erhalten!

Die Erzählweise ist sehr ruhig, detailliert und wortgewaltig und es braucht anfangs ein wenig Zeit, sich auf diesen ungewöhnlichen Schreibstil einzulassen., der sehr atmosphärisch bleibt. Dies geht zu Lasten von Spannung, die erst gegen Ende ein wenig aufkommt; so ist dieser Roman nicht geeignet für Leser, die einen Thrill in ihrer Lektüre erwarten.

Die Figuren sind mit großer Liebe gezeichnet, und mir sind neben Esme und ihrem - oft mit ihrer Erziehung überfordertem Vater - auch das Dienstmädchen oder auch "bondmaid" Lizzie und vor allem Tante Ditte mit ihrer liebevollen Fürsorge, aber auch ihrem ungewöhnlichen Lebensstil, sehr ans Herz gewachsen. Ich liebe einfach Geschichten über starke Frauen!

Ein Kompliment geht auch an die Übersetzerin Christiane Burkhardt, die Esmes gesammelte Wörter und die zugehörigen Zitate in Englisch beibehalten hat (zusätzlich ins Deutsche übersetzt, so dass es keine Sprachbarriere gibt), so dass der besondere Zauber von Esmes Wörterbuch für Frauen bestehen bleibt.

Alles in allem ein wirklich herausragendes Buch nicht nur für starke Frauen, für das ich fünf Sterne vergebe - mit einem kleinen Abzug aufgrund des nicht ganz einfachen Einstiegs.