Rezension

Starker Abschlussband - und Anti-Weihnachtsgeschichte

NEBEL - Ragnar Jonasson

NEBEL
von Ragnar Jonasson

Bewertet mit 5 Sternen

Kurz vor Weihnachten 1987 warten Erla und Einar auf einem abgelegenen Bauernhof im einsamen Osten Islands auf Weihnachten. Die Straße ist bereits unpassierbar und es wird weiter schneien. Für Einar war immer klar gewesen, dass er die Schafzucht seiner Familie fortführen würde, nur Erla wusste damals noch nicht, auf was sie sich mit ihrer Heirat einlässt. Inzwischen haben viele Bauern aufgegeben und sind fortgezogen und Erla denkt oft daran, wieder in der Stadt zu leben. Obwohl Geld knapp ist, hat das ältere Paar die Feiertage vorbereitet, die letzten Besorgungen erledigt Einar auf Skiern. Als Leser ahnt man, wie abhängig beide voneinander sind, wenn weit und breit kein Nachbar mehr wohnt und der Radioempfang schlecht ist. Die Landkarte vorn im Buch vermittelt diese Einsamkeit eindrucksvoll. Als ein Fremder vor der Tür steht und behauptet, seine Jagdgenossen verloren zu haben, glaubt Erla ihm kein Wort und kann auch Einar überzeugen, dass der Mann gefährlich sein muss. Warum wird im Radio keine Vermisstenmeldung gesendet, wenn eine Gruppe einen Teilnehmer verliert?, fragt sich Erla. Sie hat so viel geschluckt all die Jahre - und nun bringt dieser Léo das Fass zum Überlaufen.

Kurz vor Weihnachten eskalieren die Dinge auch bei Hulda Hermannsdóttir in Reykjavik. Der Umzug in eine Randgemeinde hatte Huldas Familie wohl doch nicht die erhoffte Ruhe gebracht. Hulda grübelt über den ungelösten Fall einer jungen Frau, die auf einer Reise durch Island in der Nähe von Selfoss verschwand. Weihnachten sieht die Kommissarin mit unguten Gefühlen entgegen, weil sie als Kleinkind ins Heim gegeben wurde und keine Bindung zu ihrer Mutter entwickeln konnte. Huldas Tochter Dimma hat sich in letzter Zeit völlig zurückgezogen und Huldas Mann Jón verhält sich, als wäre er frisch aus einer anderen Galaxie gelandet. Erlas und Huldas Unbehagen scheinen sich erstaunlich zu ähneln.

Zwei Monate später ist Hulda mit zwei Kriminaltechnikern unterwegs zu einem abgelegenen Haus im Osten Islands. Der Ortspolizist hatte dort nach dem Rechten gesehen, nachdem die Bewohner wochenlang nicht zu erreichen waren. Für Hulda und ihre Kollegen ist noch unklar, was dort passierte. Ein unbehagliches Gefühl …

Wie ein Fremder kurz vor Weihnachten die Ruhe auf einem einsamen Bauernhof stört, beschreibt Rágnar Jonasson atmosphärisch dicht und überzeugend. In Erlas Welt konnte ich mich sofort versetzen, auch wenn mir die Vorstellung der völligen Abgeschnittenheit schwer fiel. Irgendwo müsste doch jemand sein, dem auffällt, wenn kein Rauch mehr aus dem Schornstein steigt, dachte ich. Am Ende kehrt Hulda, so wie wir sie aus dem ersten (chronologisch späteren) Band kennen, nach Reykjavik zurück: immer die Fassade wahren …

Ein starker Abschlussband als Anti-Weihnachtsgeschichte, in dem kurze Kapitel beim Lesen vorwärts treiben und wachsende Zweifel säen an dem Blick, mit dem Erla im fernen Osten ihre Welt sah, aber auch an dem Huldas in Alfanes.

 

Die Serie

Die Hulda-Trilogie beginnt im ersten Band kurz vor Hulda Hermannsdóttirs Pensionierung, die sie noch nicht wahrhaben will, und wirft die Frage auf, wie die Kommissarin beruflich und privat derart vereinsamen konnte. Huldas Vorgeschichte und die ihrer Kleinfamilie wird in diesem dritten Band aufgelöst, darum sollte dieser Band als letzter gelesen werden.