Rezension

Starker dritter Band der Atlanta-Trilogie

Lange Nacht (Darktown 3) -

Lange Nacht (Darktown 3)
von Thomas Mullen

Bewertet mit 5 Sternen

Der Hintergrund

Die Einführung einer kleinen Truppe schwarzer Polizisten 1948 in Atlanta war ein simples Wahlgeschenk. Die Stimmen schwarzer Wähler sicherten William B. Hartsfields Wiederwahl zum Bürgermeister, im Gegenzug sollte das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung in rein schwarzen Vierteln durch die zehn „Negro Cops“ befriedigt werden. Jahre später wird die Arbeit der jungen Polizisten noch immer durch unzumutbare Arbeitsbedingungen und die Hierarchie eines rassistischen Systems boykottiert. Selbstständig ermitteln dürfen die Negro Cops nicht, Weiße verhaften sowieso nicht. Ob in einem ihrer Fälle überhaupt weiter ermittelt wird, liegt im Ermessen ihrer weißen Kollegen. Jeder Arbeitstag ist ein Kampf um den Respekt bei Bürgern und Kollegen, für die ein Schwarzer in Uniform noch immer eine unerhörte Zumutung zu sein scheint.

Inhalt

Tommy Smith gehörte zur ersten schwarzen Polizeieinheit, die in den 40ern des vorigen Jahrhunderts  in Atlanta aufgebaut wurde, und zu den Polizisten, die aus Frust bald wieder kündigten. Offenbar waren die schwarzen Cops nie als vollwertige Ermittler geplant und werden innerhalb der Polizei in Atlanta noch immer so respektlos behandelt wie zu Beginn ihrer Arbeit. Wenn weiße Kriminelle ungeschoren davon kommen, weil Schwarze nicht ermitteln dürfen, führt  Rassentrennung ein Rechtssystem ad absurdum.

Der Ex-Cop Smith arbeitet inzwischen als Journalist bei der einzigen und angesehenen Tageszeitung Alabamas für Schwarze. Als sein Chef Bishop ermordet wird, wendet Smith sich an seinen ehemaligen Vorgesetzten McInnis, der noch immer als einziger weißer Polizist in einem schwarzen Viertel arbeitet. McInnis hat nach 8 Jahren noch immer nicht alle Codes seiner Cops begriffen. Seine kleine Truppe ist noch immer eine Farce ohne Dienstfahrzeug und die Befugnis, gegen verdächtige Weiße zu ermitteln. Da Smith als erster am Tatort war und die Polizei alarmierte, gilt er zunächst als Verdächtiger. Während parallel in Montgomery gerade der legendäre Bus-Boykott organisiert wird und die Polizei versucht, Martin Luther King jr. eine Straftat anzuhängen, wird Smith durch die Mühlen der Ermittlungen gezwungen. Ein Ex-Cop als Mörder wäre ein gefundenes Fressen für Atlantas Anhänger der Rassentrennung. Auch wenn Smith sich schon früher gefragt hatte, wie ein bürgerlicher Verleger einer Zeitung für Schwarze nicht nur einflussreich, sondern finanziell so erfolgreich sein kann wie sein Boss, hat er zunächst keine Vorstellung davon, welcher von Arthur Bishops zahlreichen Feinden ihn aus dem Weg geräumt haben könnte. Bishop hatte u. a. Drohbriefe erhalten, nachdem er über einen Fall von Vergewaltigung einer Weißen berichtete, den man für getürkt halten könnte. In McInnis Abteilung ist immer noch Smith’ damaliger Partner Lucius Boggs tätig, dessen Vater als angesehener Geistlicher  gut mit Martin Luther King sr. befreundet ist und damit ein idealer Informant für McInnis. Eine raffiniert angelegte Verbindung …

Die Ermittlungen konzentrieren sich schließlich wie so oft auf die Spur des Geldes und des Einflusses. Wer profitiert von Bishops Tod, gegen wen hätte der Verleger etwas in der Hand haben können – und warum machen sich weiße Ermittler des FBI ungefragt in McInnis Revier breit? McInnis ist überzeugt davon, dass seine Leute hier jedem Fremden überlegen sind und das FBI sich mit ihm besser nicht anlegen sollte. Der erfahrene Polizist hat nichts zu verlieren; denn seine Versetzung zu den Negro Cops war seinerzeit als Degradierung angelegt. Aktuell sinnt McInnis darüber, ob er nach 8 Jahren mit seiner Arbeit gescheitert ist, wenn die Polizei wie die übrige Stadt weiter auf Rassentrennung beharrt. Doch wenn McInnis sich auf eine andere  Stelle bewerben würde, wäre seine Erfahrung im Quartier verloren - und diejenigen würden profitieren, die gerade die Aufklärung von Bishops Tod verhindern wollen.

Fazit

Der dritte Band der Darktown-Trilogie nimmt mit dem Thema Presse, Rassentrennung an Schulen und dem Wohnungsmarkt für Schwarze historisch hochinteressante Themen auf und lässt  mit dem raffinierten Bishop und den Zweiflern Smith und McInnis  so differenzierte wie glaubwürdige Personen aufeinandertreffen. Nicht zu vergessen: hinreißende Nebenfiguren  wie Pastor Boggs oder das pflichtbewusste Hausmädchen Addie. Wie schon in den Vorgängerbänden fand ich streckenweise die Sozialgeschichte von Atlantas Schwarzenviertel beinahe spannender als die Auflösung des hochkomplizierten Kriminalfalls.