Rezension

Starkes Buch über den Dreißigjährigen Krieg

Tyll - Daniel Kehlmann

Tyll
von Daniel Kehlmann

Bewertet mit 5 Sternen

Gottfried kritzelt in seinen Kalender. Er habe nicht gewusst, murmelt er, dass Friedrich schon wieder abgesetzt sei, nun müsse er sein Lied über ihn umschreiben.

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass man über den Dreißigjährigen Krieg ein so humorvolles Buch schreiben kann. Humorvoll, traurig, grausam, ja natürlich, dieser Krieg war grausam, und auch das kommt rüber. Dennoch zelebriert Kehlmann die Brutalität niemals, und überhaupt, er verdammt niemanden. Nicht den philosophisch interessierten, naiven Vater vom Tyll, nicht den Winterkönig, nicht dessen Frau, ja noch nicht einmal den skrupellosen Blender Kircher.

Ob Till Eulenspiegel jemals wirklich existiert hat, ist den Historikern nicht klar, klar aber ist, dass die Figur bereits im 16. Jahrhundert literarisch beschrieben wurde. Kehlmann hingegen verpflanzt den Tyll, der schon von Kindheit an auf Seilen herumbalanciert, ganz bewusst in den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648), und ich merkte beim Lesen, wie wenig ich, außer ein paar Eckdaten, bisher eigentlich über dieses düstere Kapitel der europäischen Geschichte wusste.

In einer Art Prolog werden die Protagonisten vorgestellt: Tyll - und der Krieg. Dann bringen uns die verschiedenen Kapitel die verschiedenen Menschen näher, mit deren Wegen sich der von Tyll während des Krieges kreuzt: seinen Vater, den naiv-liebenswerten Claus Uhlenspiegel, dem seine Wissbegier zum Verhängnis wird, den dicken Grafen von Wolkenstein, der Uhlenspiegel an den kaiserlichen Hof holen soll (aber ist es wirklich Tyll, den er in einem einsamen Kloster aufgespürt hat?), die glücklose Winterkönigin Elizabeth Stuart, die im Exil die Shakespeare-Aufführungen ihrer Heimat vermisst, den gescheiterten Winterkönig Friedrich, den gewissenlosen Hochstapler Athanasius Kirchner.

Kehlmanns Personenbeschreibungen sind so lebendig wie außergewöhnlich, manchmal komisch, aber immer sehr echt. Geradezu liebevoll wendet er sich seinen Figuren zu. Dadurch bekommen die elenden Gestalten eine ganz neue, eigene Würde. Ich mag das.

Aber selten habe ich am Ende eines Buches so gegrübelt, was uns der Autor jetzt eigentlich sagen will. Ist es die Winterkönigin, die schuld ist am Krieg? Oder zeugt es eher von völliger Selbstüberschätzung, dass sie sich für dessen Verursacherin hält? Ist es etwa völlig egal, wer den Krieg angefangen hat, weil alle mitgemacht haben? Ist sie nur ein Sündenbock, der sich weigert, ein Sündenbock zu sein? Oder siegt am Ende einfach die Ignoranz derer, die Politik nicht für ein Mittel zum Frieden halten, sondern für ein lustiges Spiel? Wie zynisch ist dieses Ende? Ich finde im Buch keine Antworten auf diese Fragen, aber vielleicht ist das gerade eine seiner Qualitäten, dass der Leser sie selber finden muss.

Ein starkes Stück Literatur jedenfalls, das ich unbedingt weiterempfehlen kann.