Rezension

Stidie des Grauens

Menschenwerk
von Han Kang

Bewertet mit 4 Sternen

Dieses Buch ist nichts für schwache Nerven. Es erzählt von Leid und Gräueltaten in jeder denkbaren Form. Menschenwerk. Der Titel ist aussagekräftig.
Im Mai 1980 gab es im südkoreanischen Gwangju Demonstrationen gegen die Regierung, die vom Militär brutal niedergeschlagen wurden und in einem grauenhaften Massaker endeten. 

„An diesem Tag waren achthunderttausend Schuss Munition an die Soldaten ausgegeben worden. Die Einwohnerzahl der Stadt betrug ungefähr vierhunderttausend. Sie hätten also jeden Bürger zweimal erschießen können.“

Diese Ereignisse erlebt man hier aus den unterschiedlichsten Perspektiven. Ein paar Schüler und Studenten treffen zufällig in einer Turnhalle zusammen und kümmern sich um die Registrierung der Leichen. Das ist der Ausgangspunkt. Wie sind sie da hingekommen? Was verbindet sie? Sie haben eigentlich nichts mit den Demonstrationen zu tun. Trotzdem landen sie mitten im Brennpunkt des Geschehens.

Später gibt es Verhöre und Folterungen, bei denen einem die Haare zu Berge stehen. Verhört wird wahllos, jeder der auch nur das Blickfeld der Justiz streift, ist verdächtig. Noch Jahre später leben Menschen mit dem Trauma, das sie erlitten haben und selbst, wenn sie nicht direkt betroffen sind, kennen sie doch Menschen, die spurlos verschwunden sind. 

Han Kang erzählt gekonnt und gnadenlos. Tiefes Grauen spricht aus jeder Zeile. Es nimmt den Leser mit. Manchmal ist dieses Buch nahezu unerträglich. 
Sehr spannend sind die Erzählperspektiven. Man weiß nie direkt, wer gerade berichtet oder von wem berichtet wird und rätselt, wie dieser neue Aspekt in den Gesamtzusammenhang passt. 
Die Zeit schreitet fort bis in die heutige Zeit, aber das Grauen bleibt bestehen. Dieses Ereignis hat langfristige Folgen und auch die Frage, wie können Menschen auf Befehl zu Bestien werden, steht im Raum.

„Ist der Mensch von Natur aus grausam? Ist das, was wir durchgemacht haben, eine ganz normale Erfahrung? Leben wir nur in der Illusion, Würde zu besitzen, obwohl wir uns von einem Moment auf den nächsten in Abschaum verwandeln können, in ein lästiges Insekt, in eine wilde Kreatur, in eine formlose Masse aus Geschwüren und Eiter?“

„Menschenwerk“ ist ein eindrucksvolles Buch, beklemmend, erschütternd und großartig erzählt. Ein Lesevergnügen ist es nicht, aber es hinterlässt nachhaltigen Eindruck und zwingt den Blick auf Tatsachen, die man lieber ignorieren möchte. So ein Buch kann man nicht wirklich empfehlen, eine Erfahrung ist es trotzdem.