Rezension

Stimmt mich nachdenklich

Zwei fremde Leben - Frank Goldammer

Zwei fremde Leben
von Frank Goldammer

Bewertet mit 4 Sternen

Ricarda Raspe erwartet ihr erstes Kind. Unter der Geburt kommt es zu Problemen. Die Ärzte der Dresdner Klinik teilen mit, das Baby wäre verstorben. Weder Ricarda noch ihr Verlobter dürfen das Baby sehen und sich verabschieden. Das ist gemäß Vorschrift in der DDR 1973 nicht vorgesehen. Die daraus entstehende Unsicherheit lässt Ricarda‘s ganzes Leben aus den Fugen geraten. Ricarda glaubt an staatlich organisierten Kindesentzug.

Dieser Verdacht drängt sich auch dem sich sorgenden Polizisten Thomas Rust auf, dessen Frau zur gleichen Zeit ebenfalls schwanger in der Dresdner Frauenklinik liegt. Während er auf die Besuchszeit wartet, beobachtet Rust merkwürdige Vorgänge im Umfeld des Krankenhauses. Er beginnt mit Ermittlungen, die ihn immer tiefer in DDR-Machenschaften hineintreiben, ihn selbst in höchste Gefahr bringen.

Dieser Handlungsstrang nimmt den größten Anteil des fesselnden Romans in Anspruch. Der zweite Teil der Geschichte startet Jahre später als die junge Claudia Behling erfährt, dass ihre Funktionärseltern gar nicht ihre leiblichen Eltern sind. Claudia begibt sich auf die Suche nach ihrer Mutter, die sie angeblich nach ihrer Geburt weggegeben hatte.

Der Roman macht sehr deutlich, welche gravierenden Auswirkungen die Gegebenheiten in der DDR auf die Bürger hatte, sobald nicht Alles nach Plan lief. In meiner Wahrnehmung wurden hier zwei Leben verdreht, teilweise ganz zerstört. Beim Lesen konnte man ganz klar die mitschwingende Verzweiflung spüren. Der Roman setzt sich darüberhinaus mit der Staatssicherheit auseinander. Wie schnell konnte man in deren Fänge geraten und musste fortan IM sein? Er berichtet aber auch von verschiedenen Stasitypen, von den Engagierten und den mit vielen Worten Nichts-Sagenden. Weiterhin erfahren wir von Machenschaften der DDR in Richtung Westen, die dem normalen Bürger vermutlich gar nicht bewusst waren.

Ganz nebenbei streifen wir im Vorbeigehen Dederonstoff, ziehen an einer F6 oder am Choke. Von diesen typischen Vokabeln hätte ich mir noch mehr gewünscht oder etwas mehr Tagesgeschehen. Vermutlich wollte der Autor die Thematik nicht durch Nebensächlichkeiten verklären. 

Insgesamt liest sich der neue Roman von Frank Goldammer wie ein Krimi, er ist hochinteressant und richtig spannend. Zwischendurch wurde ich auf falschen Fährten gelockt, zum Beispiel in der Frage, wessen Tochter Claudia nun eigentlich ist. Das hat mir sehr gefallen. Gern spreche ich eine Leseempfehlung aus.