Rezension

stimmungsvoll

Im Spiegel ferner Tage - Kate Riordan

Im Spiegel ferner Tage
von Kate Riordan

1932 und 1898 – gerade einmal 30 Jahre liegen zwischen den beiden Handlungsebenen und doch Welten. In der Vergangenheit erleben wir die typische viktorianische Gesellschaft, in der stets der gute Schein gewahrt werden muss und Elizabeth in einer unglücklichen Ehe gefangen ist. Nach der Geburt ihrer Tochter und einer Todgeburt erlebte sie depressiven Phasen, von denen sie nun, endlich erneut schwanger mit dem zukünftigen Erben der Stantons, fürchtet, dass sie zurückkehren könnten. 1932 verschlägt es die 21jährige Alice aus London in das gleiche abgeschiedene Tal, hier soll sie in Ruhe ihr Kind zur Welt bringen – hier wo niemand weiß, dass sie nicht etwa frisch verwitwet, sondern gänzlich unverheiratet ist. Bindeglied zwischen den beiden Ebenen ist Edith Jelphs, einst Kammerzofe von Elizabeth und nun Haushälterin im meist leeren Haus sowie Elizabeths Tagebuch, in dem Alice heimlich liest.

Alice empfindet sich selbst in der Rückschau manches Mal als etwas naiv und ich kann ihr nur zustimmen. Nicht nur, wie sie in ihre Beziehung geschlittert und schwanger geworden ist, sondern auch später in ihrem Verhalten in Fiercombe. Sie tänzelt die meiste Zeit um Mrs. Jelphs und Gärtner Ruck herum, um sie nur ja nicht zu verärgern, ignoriert sie aber, wann immer es ihr passt – leider auch in Situationen in denen es klüger wäre, auf sie zu hören. Ich bin zum Beispiel auch der Meinung, dass eine hochschwangere Frau nicht unbedingt während einer Hitzewelle kilometerweit durch die Gegend marschieren sollte – und schon gar nicht, ohne dass irgendjemand weiß, wo sie unterwegs ist. Elizabeth hingegen tat mir die meiste Zeit leid, ohne dass ich einen Ansatz gesehen hätte, wie sich ihre Situation hätte verbessern lassen. Sie war nun einmal rechtlich gesehen ihrem Mann vollkommen ausgeliefert und ihre psychische Situation war zumindest nicht vollkommen stabil, so dass ihr Mann zwar die Rolle des Bösen einnimmt, sein Verhalten aber bei genauerer Betrachtung eher übertrieben und hilflos als völlig lieblos erscheint.

Beim Lesen des Klappentexts habe ich die Aufdeckung eines dunklen Familiengeheimnisses voller Intrigen erwartet, es entpuppte sich dann aber in erster Linien als ein vergleichsweise harmloses Verschweigen aus Trauer und Verzweiflung heraus. Das macht die Geschichte allerdings umso glaubwürdiger und dass Alice die Stimmung im leeren alten Haus oft als unheimlich empfindet, kann man sehr gut nachvollziehen und mitempfinden. In einem alten Herrenhaus hätte ich das Buch nicht lesen mögen.

Ich habe irgendwann ab der Mitte allerdings sowieso nur noch zögerlich weitergelesen, der Vergangenheitsstrang lief immer deutlicher auf ein unglückliches Ende zu, von dem ich eigentlich lieber nichts erfahren wollte. Nichtsdestotrotz ist „Im Spiegel ferner Tage“ ein gelungener und stimmungsvoller Familienroman, der die Gefahren unterdrückter Gefühle und von zu viel Schweigen anprangert.