Rezension

Stimmungsvoll und unvorhersehbar - frischer Wind im Genre

Caraval 01 - Stephanie Garber

Caraval 01
von Stephanie Garber

Bewertet mit 4.5 Sternen

Das Jugend-Fantasymärchen "Caraval" wird international gefeiert und die Option für eine Verfilmung ist bereits vergeben. Auf den deutschsprachigen Blogs  wurden jedoch neben vielen positiven, einige kritische Stimmen laut. Deshalb war ich skeptisch und habe die Geschichte lange vor mir her geschoben. Ihr wisst schon... gehypte Bücher! Die Hörbuchvariante hatte ich sogar von Anfang an für mich ausgeschlossen, weil ich mit Sprecherin Marie Bierstedt häufig meine Probleme habe. Ich nehme ihre Stimme meist als ins Pathetische überbetont wahr, was den Figuren eine weinerliche Art verleiht. Dann habe ich es spontan doch getan: "Caraval" landete als Audiodatei auf meinem Smartphone. Und, was soll ich sagen? Da gab es dann direkt zwei Überraschungen: 1. Die Geschichte hat mir richtig gut gefallen und 2. Marie Bierstedt ist als Sprecherin eine super Wahl.

Kurz zur Handlung: Alles beginnt auf Trisda, wo die Schwestern Scarlett und Donatella Dragna gemeinsam mit ihrem grausamen, tyrannischen Vater leben. Seit frühester Kindheit sind die Mädchen fasziniert von dem sagenumwobenen Caraval, eine Mischung aus Rollenspiel und Zirkus, dessen Kopf der mysteriöse Master Legend ist. Wer die Prüfungen besteht, die Caraval seinen Teilnehmern stellt, der kann einen Wunsch gewinnen, heißt es. Kurz vor Scarletts bevorstehender arrangierter Hochzeit mit einem unbekannten Grafen, erhalten die Schwestern eine Einladung zu Caraval. Aus Angst vor dem Zorn ihres Vaters, ist Scarlett drauf und dran abzulehnen. Doch Donatella will teilnehmen und der Seemann Julian bietet an, die beiden zum diesjährigen Veranstaltungsort von Caraval, einer abgelegenen Insel, zu begleiten.

Natürlich brechen Scarlett und Donatella auf zur mysteriösen Caraval-Insel, eine verwunschene Welt, von der man nie so genau weiß, was Realität und was Bluff ist. Ein Labyrinth aus urigen Läden und Straßen erwartet den Leser/Hörer, Geheimgänge, magische Tinkturen, Wahrsager und vieles mehr. Vor dieser farbenprächtigen Kulisse begleitet man Hauptfigur Scarlett, wie sie fünf Nächte lang verschiedene Rätsel lösen muss. Hier gelingt es der Autorin nicht nur hervorragend, dieses ganz spezielle verzauberte Flair zu erzeugen, sondern das Spiel mit der Illusion so zu gestalten, dass es den Leser zwar verwirrt, aber nicht überfordert. Allerdings muss man hinnehmen, dass sich viele Geheimnisse anhäufen und nicht alle am Ende gelöst werden.

Etliche Leser haben bereits Vergleiche zu "Alice im Wunderland" oder dem 80er-Jahre Fantasyfilm "Labyrinth" gezogen, und ja, das Buch vereint das surreale Ambiete dieser und ähnlicher Werke mit einer an sich typischen Jugendfantasystory. Mich hat die besondere, geheimnisvolle Stimmung, die schwer zu beschreiben ist und die auch ich mir zuvor nicht gut vorstellen konnte, sehr beeindruckt. Die Autorin arbeitet viel mit Farben und originellen, magischen Ideen. Man kommt sich vor wie ein Kind im Märchenwunderland, das die ganze Zeit am Staunen ist und Neues entdecken darf.

Als erfrischend anders empfand ich die völlig unvorhersehbare Handlung. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich eine Ahnung, was als nächstes geschieht und habe es total genossen, ständig überrascht zu werden und so viele ungewöhnliche Wendungen erleben zu dürfen. Das ist in dem Genre nicht selbstverständlich. Stephanie Garber versteht es außerdem, durch ihre abwechslungsreiche, episodenhafte Erzählstruktur konstant Spannung zu halten, so dass ich von der ersten bis zur letzten Minute fasziniert zugehört habe. 

Worüber ich mich unheimlich gefreut habe, war Scarletts Veränderung von einer anfangs wenig selbständigen, durchschnittlichen Protagonistin zu einer mutigen, besonnenen Heldin, die ich im fulminanten Finale zu allen Entscheidungen einfach nur noch beglückwünschen wollte. Zwischendurch hatte ich kurz befürchtet, Scarlett würde in die Art Verliebtheitsschockstarre fallen, der ich so gar nichts abgewinnen kann. Puh! Nochmal gut gegangen. Übrigens: Asche auf mein Haupt! Marie Bierstedt liest tadellos, in einem angenehmen, nicht zu schnellem Tempo. Der kleine, leicht dramatische Anteil ihrer Stimme fängt Scarletts Persönlichkeit hervorragend ein. Alle anderen Charaktere gibt sie meiner Ansicht nach ebenfalls treffend wieder.

Kritikpunkte habe ich wenige. Was die magische Welt insgesamt betrifft, finde ich, die Autorin verlässt sich zu sehr auf die Wirkung von Farben und spart an präzisen Beschreibungen, was es mir stellenweise schwer machte, mir die Welt von Caraval als Ganzes vorzustellen. Auch Scarletts genretypische Begeisterung für Äußerlichkeiten konnte ich nicht immer teilen, obwohl die schönen, makellosen Charaktere auf ihre Weise zu dem märchenhaften Setting passten. Schließlich war Schneewittchen auch schon die Schönste im ganzen Land, oder nicht? Somit gehörte auch der romantische Teil der Geschichte für mich - so, wie er ist - dazu.

Am Ende gibt es auf vieles, aber nicht auf alles Antworten. Vielleicht lässt sich auch nicht alles bis ins Kleinste erklären. Das kann ich gut akzeptieren, da es zur unwirklichen Art von Caraval dazugehört. Trotzdem hoffe ich noch auf ein paar entscheidende Informationen, mit denen eventuell der Gesamteindruck der Dilogie steht und fällt.

Fazit: "Caraval" hat mich überrascht und bestens unterhalten. Das Konzept "Jugendfantasy meets Alice in Wonderland" ging für mich auf. Die unberechenbare, fantasievolle Handlung und die besondere, geheimnisvolle Stimmung sind in dem Genre, für diese Altersklasse, einmalig und Marie Bierstedt haucht diesem märchenhaften Abenteuer als Sprecherin überzeugend Leben ein. Einige der üblichen Klischees und kleinere Schwächen störten mich hier kaum. Ich bin allerdings sehr neugierig, ob Stephanie Garber nun - da einige Geheimnisse gelüftet sind - der Caraval-Zauber ein zweites Mal gelingt. Außerdem hoffe ich noch auf ein paar entscheidende Antworten.