Rezension

Strukturelle Diskriminierung zugeben!

Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche - Reni Eddo-Lodge

Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche
von Reni Eddo-Lodge

Bewertet mit 4 Sternen

Der Titel, den die Autorin aufgrund eines früheren Blogeintrags ihrerseits gewählt hat, will ganz klar provozieren. Denn natürlich will sie genau das: Mit Weißen über Hautfarbe sprechen. Und damit hat sie ja ganz recht. Das muss sie, wenn sie Veränderung will. Wenn wir alle Veränderung wollen.

Es ist nicht so ganz klar, ob wir es wollen. Wir, die wir von unserer Hautfarbe profitieren. Eine gerechte Welt, eine gerechtere Gesellschaft, eine Gesellschaft ohne Privilegien für irgendeine Gruppe, ist eine (schöne) Utopie.

Momentan ist in der westlichen Hemisphäre, Weißsein genau so ein Privileg, wie Mannsein und Reichsein. Ein bisschen verzögert kommt hinterher: oder Gebildet sein. „Männlichkeit bedeutet Macht. Hab ich keine, bin ich nicht männlich. Bin ich nicht männlich, bekomme ich keine Macht, und der Kreis schließt sich“, schreibt Edoardo Albinati in „Die katholische Schule“ und erklärt damit, warum das Patriarchat sich verteidigt und mehr oder weniger unverhüllt diskriminiert.

Genauso verteidigt sich die weiße Oberschicht. Es gibt strukturelle Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe. Wer wollte das leugnen? Und wahrscheinlich in jeder quantitativ überwiegenden weißen Gesellschaft. Das ist Tatsache.

Reni Eddo-Lodge schreibt, wie sie in ihrer Kindheit und Jugendzeit der Illusion verfiel, sie hätte automatisch die gleichen Chancen wie ihre weißen Mitmenschen. Dann distanzierte sie sich von dieser Illusion:

„Wir leben nicht in einer auf Leistung gegründeten Gesellschaft, und vorzugeben, dass harte Arbeit immer zum Erfolg führt, ist ein Akt vorsätzlicher Ignoranz.“ Diese gemeine Tatsache trifft allerdings auch noch einige andere Gruppierungen. Dass die Autorin sich nun ausgerechnet für die Beendigung der Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe ausspricht und dafür einsetzt, ermutigt und streitet, versteht sich von selber.

Wenn sie jedoch sagt, es sei die Aufgabe „der Weißen“ mit den Ungerechtigkeiten aufzuhören und sie sich bewusst zu machen und etwas dagegen zu tun, langt sie nach den Sternen: Keine einzige privilegierte Gruppe hat jemals freiwillig irgendwelche Privilegien herausgerückt!

In ihrem recht kurzen Buch spricht sie vieles an. Auch die Schuldfrage. Zwar sagt sie häufig, es hälfe nichts, wenn „Weiße“ sich schuldig fühlten (sie sollten lieber etwas tun); doch die Verantwortung für den Zustand der Diskriminierung schiebt sie ohne Wimpernzucken ausschließlich den Weißen zu. Welchen Weißen denn? Hier wird es zumindest schwierig. Es ist inzwischen strittig, ob Deutschland sich für ewig für das Schicksal aller Juden in aller Welt verantwortlich fühlen soll und alles dafür tun muss, um seine historische Schuld auszugleichen. Schließlich ist die Tätergeneration  nicht mehr greifbar. Ebenso dürfte es mit den Nachkommen der Sklavenhändler und -Käufer sein. Eine historische Schuld ist da. Aber wer soll sie ausgleichen? Die heute Lebenden sind insoweit unschuldig, als sie nichts getan haben. Insoweit schuldig, als sie immer noch von den (Un-)Taten ihrer Vorfahren profitieren.

Die Autorin möchte Quoten. Ich möchte ebenfalls Quoten. Für Frauen zuerst, der Gruppe, der ich mich zuerst verpflichtet fühle, für farbige Frauen. Für Schwarze und Farbige, für Juden. Es kann sein, dass wir Quoten auch noch für andere Gruppen brauchen - das kann ich momentan nicht übersehen.

Denn es ist ganz normal, dass man zum Beispiel auf eine freie Stelle, vor allem in leitender Position, diejenigen bevorzugt positioniert, die sind, wie man selber ist. Weiße bevorteilen Weiße, Männer stellen lieber Männer ein, Schwarze wohl lieber Schwarze, Frauen lieber Frauen, politisch Rechte/Linke Gleichdenkende, etc. etc. Es ist schmerzlich, aber menschlich.

Die Vorwürfe gegen den Feminismus habe ich nur ansatzweise nachvollziehen können. Die vorliegende Streitschrift der Autorin ist wichtig. Beispiele von himmelschreiender Ungerechtigkeit reichen bis in die Neuzeit. Leider! Es gibt noch viel zu tun. Ganz sicher. Aber mein Kampf ist es nicht.

Fazit: Wichtiger Beitrag für eine gerechtere Gesellschaft. Abstriche gibt es für einen Rundumschlag gegen einfach alle und jeden.

Kategorie: Sachbuch. Stichwort: Rassismus
Verlag: Tropenverlag, 2019.
 

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 09. Juni 2020 um 21:24

"Ebenso dürfte es mit den Nachkommen der Sklavenhändler und -Käufer sein. Eine historische Schuld ist da. Aber wer soll sie ausgleichen? Die heute Lebenden sind insoweit unschuldig, als sie nichts getan haben. Insoweit schuldig, als sie immer noch von den (Un-)Taten ihrer Vorfahren profitieren."

Wichtig ist, die noch bestehenden Strukturen zu ändern - in den USA ist der Rassismus ja noch äußerst lebendig, wie die Ermordung von George Floyd gerade gezeigt hat. Die Versklavung der AfroamerikanerInnen und der Mord an den IndianerInnen gehören zu den Ursprüngen der USA.

Kinderbuchliebe kommentierte am 10. Juni 2020 um 18:03

Ja, wobei Indigene von Europäern umgebracht wurden (eigentlich) ;)