Rezension

Südkoreas Trauma: Das Gwangju-Massaker

Menschenwerk
von Han Kang

Bewertet mit 4.5 Sternen

Nachdem die südkoreanische Bevölkerung 18 Jahre unter Militärherrschaft leben musste, hoffte sie 1979 nach Ermordung des damaligen Präsidenten auf die Demokratisierung ihres Landes. Als sich dann jedoch ein General an die Macht putschte, kam es landesweit zu Massenunruhen und Protesten. Die friedlichen Demonstrationen der Zivilbevölkerung in Gwangju wurden am 18. Mai 1980 vom Militär gewaltsam niedergeschlagen.

Das Buch „Menschenwerk“ erzählt aus unterschiedlichen Perspektiven die Geschichte des Jungen Dong-Ho und all derjenigen, die mit ihm die Zeit des Gwangju-Massakers erlebt haben: Ein Junge sucht nach der Leiche seines Freundes, der bei einem gewaltsam niedergeschlagenen Studentenaufstand gestorben ist. Eine Mutter trauert um ihren Sohn. Eine Schwester versucht weiterzuleben. Ein Folteropfer versucht, sich nicht zu erinnern. Alle Erzählungen sind schmerzvolle Rückblicke, datiert auf die Folgejahre des Massakers. Es geht um Haft und Folter, Depression, Einsamkeit und Schuldgefühle. Und von der Unmöglichkeit, normal weiterzuleben. Im Epilog kommt schließlich die Autorin selbst zu Wort und versucht, in all dem einen Sinn auszumachen.

„Ich glaube nicht, dass sich die Gewalterfahrung nur auf den Zeitraum von zehn Tagen beschränken lässt, in denen der Aufstand sich ereignete. Die Atomkatastrophe von Tschernobyl war auch nicht auf den Tag es Unglücks beschränkt, sondern wirkte noch Jahrzehnte nach.“ (S. 112)

Han Kang schildert auf eindringliche Weise Gewalt und Brutalität über die leserische Schmerzgrenze hinaus. Dabei geht es jedoch nicht um Effekthascherei sondern vielmehr schafft sie es, dass man diesem menschlichen Handeln irgendwann nur noch fassungslos gegenüber steht. Aber das Buch hat auch ruhigere, ja sogar leise Momente zu bieten, diese sind allerdings von Leid, Schmerz und Hoffnungslosigkeit geprägt.

„Am darauffolgenden Abend, als sie vom Dachboden herabstieg, erzählte ihr ihre Mutter, dass die Lastwagen der städtischen Müllabfuhr die Leichen abgeholt hätten, um sie auf die Friedhöfe zu bringen. Nicht nur diejenigen, die bei dem Springbrunnen zurückgelassen worden waren, sondern auch die Särge aus der Turnhalle und die nicht identifizierten Körper.“ (S. 71)

„Menschenwerk“ ist kein Buch, das sich einfach so weglesen lässt. Es will verdaut und überdacht werden. Auch weckt es Ungläubigkeit und es wäre mir lieber gewesen, wenn ich im Internet nicht Berichte und Bilder über das Gwangju-Massaker gefunden hätte, die einem die Gewissheit geben, dass dieser Roman nicht ausschließlich fiktiv ist. Für zartbesaitete Leser ist dieses Buch eher nicht zu empfehlen, allen anderen sei es ans Herz gelegt.

Han Kang wurde in Gwangju, Südkorea, geboren. 1993 debütierte sie als Dichterin, ihr erster Roman erschien 1994. Für ihr literarisches Schreiben wurde sie mit dem Yi- Sang-Literaturpreis, den Today’s Young Artist Award und dem Manhae Literaturpreis ausgezeichnet. Derzeit lehrt sie kreatives Schreiben am Kulturinstitut Seoul.