Rezension

Südstaaten-Drama mit Fokus auf drei Frauen

Alligatoren - Deb Spera

Alligatoren
von Deb Spera

Bewertet mit 5 Sternen

G e r t r u d e  stand im Sumpf irgendwo bei Branchville/Alabama einem riesigen Alligator-Weibchen gegenüber, das seine Jungen verteidigte. Auch Gertrude hätte ihre Töchter beschützen müssen, doch durch die Wirtschaftskrise zu Beginn des vorigen Jahrhunderts und den Alkoholismus von Vater Alvin steht die Familie  P a r d e e  kurz vor dem Verhungern. Gertrude kann seit ihrer Kindheit mit Waffen umgehen – und sie schießt. Zwei ihrer Töchter hat sie bereits bei ihrem Bruder gelassen, der aber niemanden mit durchfüttern kann. Bruder Berns hat Fäden geknüpft für Gertrude, sie könnte Arbeit in einer Näherei finden und in das bescheidene Arbeiterhäuschen ihrer verstorbenen Vorgängerin an der Nähmaschine ziehen. Doch in den Häuschen von Shag Rag haben bisher immer nur Schwarze gelebt …

Die Näherei gehört zur Plantage der Familie Coles, die durch eine wiederkehrende Baumwollkäferplage kurz vor der Pleite steht. A n n i e  C o l e s hat eigenes Vermögen, das sie laut Erb-Vertrag nur ihren Kindern vererben darf, nicht ihrem Mann. Edwin  Coles müsste offiziell einen Kredit bei seiner Frau aufnehmen, um seine Plantage zu retten – in den 20ern, in den amerikanischen Südstaaten!! Die Töchter des Paares  haben sich bereits vor Jahren von ihren Eltern losgesagt, und die Söhne entwickelten sich anders, als Edwin Cole es gern hätte.

Gute Seele im Haus der Coles ist das schwarze Hausmädchen  R e t t a  (Oretta)   B o o t l e s, die kocht, organisiert, Annie Geburtshilfe bei der Geburt ihrer Kinder leistet und die Kinder der Herrschaften praktisch aufgezogen hat. Die Plantagenbesitzer können sich drauf verlassen, dass sie im hohen Alter vom schwarzen Personal gepflegt werden. Umgekehrt funktioniert die Vereinbarung allerdings nicht. Falls Retta im Alter schwächer würde oder Pflege bräuchte, muss sie damit rechnen, vor die Tür gesetzt zu werden – selbst wenn der Hausherr nur vom Vermögen seiner Frau leben würde. Und dann muss es im Haushalt der Coles noch eine Person mit zu ungesundem Interesse an kleinen Kindern geben.

Wie Edwin die Plantage auf Tabakanbau umzustellen versucht, wie Sohn Lonnie aus der ehemaligen Näherei für Futtersäcke ein erfolgreiches Modeatelier macht – und wie die kinderlose Retta plötzlich für einen Schock kleiner Mädchen zu sorgen hat, das lässt Deb Spera in drei deutlich unterscheidbaren Stimmen  von drei Frauen unterschiedlicher sozialer Schichten erzählen. Als liebenswerte Nebenfiguren tauchen der Hausarzt der Familie auf und Mrs Walker, deren Platz an der Nähmaschine die Pardees vor dem Verhungern retten könnte.

Die Perspektiven weißer Plantagenbesitzer, verarmter Weißer und des schwarzen Dienstpersonals (dessen Eltern oft noch Sklaven waren)  vermittelt die Autorin glaubwürdig und mit einer Fülle an Details.  Retta beim Organisieren des großen Haushalts und ihrer Beziehung  zu ihrem geliebten Odell bin ich mit großer Anteilnahme gefolgt.

Deb Spera hatte beim Schreiben ihres üppigen Südstaaten-Dramas die Figur ihrer Großmutter und deren Geschichten aus den Südstaaten im Hinterkopf. Sie siedelt die Handlung u. a.  in einer real existierenden Arbeitersiedlung an und lässt mit Clelia McGowan eine bekannte Sufragette auftreten. All  ihre Figuren haben einen Strauß an biblischen Plagen zu erleiden: Feuer, Wasser, Todesfälle, die von Singvögeln vorher angekündigt werden, Seuchen, Schlangen, rauflustige Alligatoren, Stechmücken, und nicht zuletzt gewalttätige Ehemänner. Der Erzählton balanciert oft haarscharf am Pathos vorbei, durch die Ichperspektive der drei Frauen kommt man als Leser jedoch schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.