Rezension

Süße Geschichte, die aber auch anstrengend sein kann

Über mir der Himmel - Jandy Nelson

Über mir der Himmel
von Jandy Nelson

Bewertet mit 4 Sternen

Nach dem Tod ihrer Schwester ist Lennie paralysiert. Nichts und niemand ragt an dieses schwarze Loch in ihrer Brust heran und kann die Trauer tilgen. Nur Toby, der Freund ihrer verstorbenen Schwester, kann die Gefühle von Lennie verstehen. In dieser Trauerblase gefangen, finden beide zueinander. Doch dann trifft Lennie Joe. Und er ist die lebendige Sonne. Fernab jeder Trauer und wie eine Motte zieht es Lennie zu ihm hin. Doch welchen von beiden Jungen will sie wirklich?

Jandy Nelson hat nach mir bereits mit Ich gebe dir die Sonne ein paar ganz besondere Lesestunden beschert, die ich nicht mehr missen mag. Zugegeben, ich habe nach dem Lesen relativ zeitnah mit Über mir der Himmel angefangen und hatte kurz danach leichte Bedenken, ob das nicht ein Fehler war. Denn auf den ersten Blick war ich noch so sehr von Ich gebe dir die Sonne gefangen, dass ich sehr viele Parallelen zu Über mir der Himmel gezogen habe. Warum das aber am Ende keine Bedeutung mehr hatte und warum das Buch selbst sehr schön, aber eben auch wieder nicht perfekt war – darauf gehe ich hier ein.

Will ich das eher negative direkt hinter mich bringen? Ja, will ich. 

Wie ich bereits erwähnt habe, habe ich dieses Buch sehr zeitnah zu Ich gebe dir die Sonne gelesen und hatte leichte Schwierigkeiten für die Protagonistin Lennie, in diesem Buch, eine eigene Stimme, ein eigenes Wesen zu finden. Sie hat mich, bis auf diesen großen Kreativitätspart bei Jude aus Ich gebe dir die Sonne, kaum mit einer eigenen markanten Persönlichkeit überzeugen können. Jude und Lennie wirken so ähnlich vom Typ her, dass sich das erst später im Buch verflüchtigt hat. 

Denn Lennie hat mit Jude so einiges gemein. Beide im ähnlichen Alter. Und da ist zum Beispiel der Verlust der Mutter. Das Verarbeiten von Tod. Das Auftauchen eines Jungen, der einen die Probleme vergessen lässt. Der Zwist, der eigentlich keiner ist, zwischen Geschwistern. Und all das passiert wieder in der gleichen Örtlichkeit, die ich auch schon in Ich gebe dir die Sonne kennenlernen durfte. Da keine Parallelen zu ziehen ist mir einfach schwer gefallen.

Wenn man die genauen Umstände der Geschichten nicht kennt, bedient sich Jandy Nelson einem einfachen Prinzip, welches auch zu funktionieren scheint. Denn Jandy Nelson hat da einen dicken Glücksgriff gehabt, was ihre schriftstellerischen Skills angeht. Ich liebe ihren Schreibstil. Auch hier war ich so schnell im Geschehen, in der Emotion drin, weil es die Autorin schafft mit einfachen, aber doch sehr wirkungsvollen Szenen und vor allem Sätzen den Leser zu faszinieren. Da sind wahre Perlen bei. Und auch hier liest sich das alles in einer so kurzen Zeit, die Seiten fliegen dahin.

Doch ich hatte angekündigt, dass das Buch nicht perfekt ist. Und das fängt mit dem Plot an, der sich im Verlauf auf gewisse Weise hin zuspitzt, dass ich nicht gerade selten mit den Augen gerollt habe. Oft war ich wirklich sauer auf Lennie. Sie macht es einem wirklich nicht leicht. 

Ein grober Umriss: Nach dem Tod von Lennies großer Schwester befindet sich Lennie in einer Lethargie und einem Trauerzustand, zu dem wohl nur der feste Freund, Toby, von ihrer verstorbenen Schwester Zugang findet. Und in dieser Trauer stürzen sich die beiden aufeinander. Wortwörtlich. Dieser Gewissenskonflikt allein mag manchen vielleicht blöd aufstoßen, aber das war gar nicht das Ding, was mich am meisten gestört hat. Im Klappentext heißt es, dass Lennie irgendwann zwischen zwei Typen steht. Das tut sie tatsächlich. Irgendwie. Aber vor allem gibt es einen Moment, wo ihre Naivität und Kopflosigkeit solche Wellen schlägt, dass sie tatsächlich zweigleisig fährt. Mit vollen Bewusstsein. Mit dem Vorhaben, es nicht zu tun. Und sie macht es. 

Und wenn man das ganze Drumrum vorher mit dem anderen Typen, Joe, verfolgt hat und sich denkt „Ja, das ist besonders, das kann funktionieren!“ ist das alles einfach nur Bullshit. Bullshit um Drama zu erzeugen. Keine wirklich kluge Protagonistin. Reines Impulsivverhalten. Und es war ätzend mitanzusehen.

Ich bin wirklich ein total offener Typ was solche Geschichten angeht. Ein wirklicher Fan bin ich nicht, aber ich kann das rational sehen. Wenn es denn rational ist. Aber das war … wirklich, es hat einfach nicht zu dieser angeblichen großen Liebe, dieser Situation und selbst zu Lennie in dem Moment, nicht gepasst. 

Jetzt will ich aber auch was Nettes sagen. Denn das Buch hat ja trotzdem Spaß gemacht und es war ein wirklich gut zu lesendes Jugendbuch. Denn so absurd ich manches dazwischen fand, war die Geschichte doch sehr mitreißend. Vielleicht oder vor allem wegen des Dramas. Aber auch die Zerrissenheit von Lennie ist sehr oft großartig und authentisch geschildert, weswegen ich es hier und da halt schwer hatte, nicht ins Buch zu greifen und Lennie bis zur Besinnungslosigkeit zu schütteln. 

Abgesehen davon, schafft es die Autorin mit schon erwähnten Skills eine besondere Atmosphäre zu schaffen. Und wieder schafft es die Autorin, in ganz besonderer Art, Nebencharaktere in ein selbstständiges Licht zu rücken. Wieder tauchen Figuren auf, die die Geschichte wirklich ergänzen. Sie sind nicht nur blasses Beiwerk, um den Kontrast der eigentlichen Protagonisten hervorzuheben. Sie sind genauso farbig, vielseitig und präsent. Und das liebe ich an der Art wie Jandy Nelson Geschichten schreibt. Jede Figur steht für sich, hat einen authentischen Background und du bemerkst sie. Die Nebenfiguren wachsen einem ebenso ans Herz, wie die eigentlichen Hauptfiguren. Das ist eine großartige Fähigkeit, die ich wirklich sehr an der Autorin schätze. Denn oft genug habe ich bei Büchern das Gefühl, dass Nebencharaktere wirklich nur Beiwerk sind, damit die Protagonisten nicht nur Monologe halten und ansatzweise ein Sozialleben antäuschen.

Und letztendlich ist es ein leichtes und schweres Buch zugleich. Trotz und wegen der Tragik, dem ganzen Trara darin. Die Passagen in denen man leicht und strahlend lebt, die Passagen, in denen man weint und still ist. Es hat mich nicht tief bewegt, es ragt nicht an diesen monstermäßigen „Flash“ von Ich gebe dir die Sonne heran, aber es ist definitiv ein paar Lesestunden wert, wenn man eben erwähntes Buch schon sehr mochte. Denn es gibt so viele Sätze in diesem Buch, die man einfach instant anstreichen mag, weil sie YES! IT’S TRUE! schreien.

 

Fazit

Ich kann Über mir der Himmel von Jandy Neslon jedem ans Herz legen, der schon Ich gebe dir die Sonne liebte. Aber auch den Leuten, die einfach eine leichte und junge Liebesgeschichte, mit dem Hang zur Problematik und Dramatik, suchen und/oder gerne lesen. Für Leute, die mehr auf Diversität stehen oder Klischees einfach nicht mögen, ist das nicht das richtige Buch. Und für Jandy Nelson-Fans ist es dann wohl einfach ein Muss. Denn auch hier strahlt ihr Schreibstil auf so viele Arten. Ich bin in diesen Stil einfach verknallt.