Rezension

Technischer Fortschritt um fast jeden Preis

Die Erfindung des Countdowns - Daniel Mellem

Die Erfindung des Countdowns
von Daniel Mellem

Bewertet mit 4 Sternen

Daniel Mellem erzählt uns die Geschichte des Hermann Oberth, des aus Siebenbürgen stammenden Physikers, der eigentlich Medizin studieren sollte, dann aber als Lehrer des Wernher von Braun Vater der Mondrakete wurde. Beginnend mit der Kindheit des Protagonisten begleitet der Autor dessen recht unstetes Leben bis zum maßgeblichen Erfolg. 

Im Vordergrund des Romans steht der steinige Weg von der Utopie einer Reise in den Weltraum, angetriggert durch die Lektüre von Jules Vernes Klassiker „Von der Erde zum Mond“, bis zum tatsächlichen Start der Mondrakete. Hermann Oberth wurde ständig ausgebremst. Seine Hemmnisse reichten von familiären Konfliktsituationen, über finanzielle Sorgen bis hin zu multipler Ablehnung durch die etablierten Wissenschaften. Dabei hat sein wenig kommunikativer Charakter zu Verschärfung der Situation beigetragen. Erst als Hermann Oberth mit seinem Assistenten Wernher von Braun einen Flügelmann bekommt, kann sein Projekt genug Interesse wecken, um schließlich Realität zu werden.

So unstet wie sich das Leben von Hermann Oberth darstellt, so fühlt sich auch das Lesen an. Der Autor arbeitet mit recht großen Zeitsprüngen und überwindet von einer zur nächsten Szene große geographische Distanzen. Dadurch entstehen jeweils nach den Bildwechseln analog zu den vielen Umzügen des Protagonisten immer wieder Gewöhnungsphasen. Sprachlich wird mit präzisen Beschreibungen agiert, weniger mit malerischen Bildern und Metaphern. Damit entspricht der von einem Physiker verfasste Roman genau meiner Erwartungshaltung. Sehr gelungen fand ich die passende Kapitelnummerierung, ein kleines Detail mit ausgesprochen sympathischer Wirkung.

Etwas schwieriger war für mich die Gefühlslage gegenüber dem Charakter Hermann Oberth. Aus heutiger Sicht ist zwar nicht sein Wunsch, zum Mond zu fliegen, zu verurteilen; welchen Preis er dafür bereit ist, zu zahlen, darf allerdings schon deutlich kritisiert werden. So war ich dem kindlichen und auch dem jugendlichen Hermann durchaus zugetan. Den erwachsenen Menschen mochte ich im Verlauf der Zeit immer weniger. Erst im letzten Drittel tritt Hermanns Unrechtsbewusstsein wieder an die Oberfläche, was mir in der Folge wieder einen positiveren Blickwinkel beschert hat. Dennoch bin ich weiterhin hin- und hergerissen und kann mich bezüglich Sympathie oder Antipathie nicht festlegen.

Insgesamt empfinde ich diese Auseinandersetzung zum technischen Fortschritt gelungen. Der Roman erscheint gut recherchiert. Wer allerdings auf der Jagd nach sprachgewaltigen Zitaten ist, wird in Daniel Mellems Debüt Schwächen sehen. Mich persönlich hat das hier aufgrund der Thematik nicht gestört.