Rezension

Teil 1 der Gesamtausgabe Die Unsichtbaren

In jenen hellen Nächten
von Roy Jacobsen

Bewertet mit 5 Sternen

Teil 1 von 3 der "Unsichtbaren", auch in dieser Ausgabe

Die kleine norwegische Insel Barrøy heißt wie ihr Besitzer, Hans Barrøy. Erzählt wird die Geschichte der Familie mit Blick auf die Tochter Ingrid, das einzige Kind von Hans und Marie. Hans erwachsene, leicht behinderte Schwester Barbro lebt mit ihnen, nachdem Hans den Versuch abgebrochen hat, Barbro als Dienstmädchen auf eine andere Insel zu geben. Irgendwo muss Krieg herrschen, was die Inselbewohner daran bemerken, dass ein paar schwedische Burschen nur gegen Kost und Unterkunft für Hans einen Bootsschuppen mit Anleger bauen. Der gemauerte Kai zeigt Hans geschäftliche Weitsicht, dass er als Bauer und Fischer nur existieren kann, wenn das Boot zwischen den Inseln bei ihm anlegen kann. Ein Bruder von Hans arbeitet in der Fangsaison als Fischer vor den Lofoten und lässt von den Barrøys seine Leinen anfertigen.

Ingrid wird zur Schule auf eine Nachbarinsel gerudert, wo sie die Woche verbringt und am Wochenende zurückehrt. Als sie konfirmiert werden soll, wird sie dort währenddessen in der Pfarrersfamilie einquartiert. Sie erlebt zum ersten Mal, dass andere Kinder Geschwister haben, die Pfarrerstochter beim Gegenbesuch wiederum kennt es nicht, dass ein Kind frei von Hänseleien seiner Geschwister aufwachsen kann. Auf der Insel gibt es Dinge, die offensichtlich jeder bemerkt, über die man jedoch besser schweigt. Einige Zusammenhänge erzählt Roy Jacobsen in einem einzigen lakonischen Satz. So die Sitte, dass jahrelang die Frauen der Familie keine Stühle hatten und  im Stehen  aßen, bis sich die Dinge durch einen Zufall änderten. Die Insel steht exemplarisch für  ein empfindliches Ökosystem, Einsamkeit und Selbstgenügsamkeit, aber auch dafür, dass Erwachsene wie Kinder als Arbeitskräfte ihren festen Platz haben. Wer keinen Torf sticht und trocknet, wird im Winter den Ofen nicht heizen können. Jeder muss für das Boot, die Tiere und die anderen Familienmitglieder Verantwortung tragen. Ein Fehler kann jederzeit tödliche Folgen haben.

Eine Reihe von Schicksalsschlägen bringt schließlich die gewohnte Ordnung aus dem Tritt, in der ein Kind jahrelang Vater und Mutter bei der Arbeit begleitet, bis es alle Handgriffe selbst beherrscht. Wer hier überleben will, muss nicht nur kräftig sein, Respekt vor den Naturgewalten zeigen, sondern auch aufmerksam verhindern, dass er von Geschäftspartnern über den Tisch gezogen wird. Als aus Kindern notgedrungen tatkräftige und entscheidungsfähige Fischer und Bauern geworden sind, wundern sie sich vermutlich selbst am stärksten, was sie alles bewältigen können.