Rezension

Tiefe Beschreibung einer (Co-) Abhängigkeit sowie ein Plädoyer für Gleichberechtigung

Die Träume der anderen - Elizabeth Harrower

Die Träume der anderen
von Elizabeth Harrower

Bewertet mit 3 Sternen

Titel, Cover, Klappentext und Leseprobe machten mich sehr neugierg und liessen in mir Erwartungen erwachsen, die dann nicht gänzlich zum tatsächlichen Inhalt passten. Der Roman ist viel heftiger, als ich dachte...

Sydney, 40er Jahre. Als Lauras und Clares Vater stirbt, ändert sich alles. Sie müssen die gute Schule verlassen und umziehen. Ihre Mutter kümmert sich kaum um sie, ist sie doch vor allem mit sich selbst beschäftigt. Da sie ihren Töchtern vieles verbietet, leben Laura und Clare recht isoliert. Zudem tragen sie die Hauptverantwortung für den Haushalt. Laura, sie wollte eigentlich Ärztin oder Opernsängerin werden, beginnt in einer kleinen Fabrik zu arbeiten, um Geld zu verdienen. Nach einiger Zeit verlässt die Mutter ihre Töchter gänzlich, da sie auf Europareise gehen möchte.

Um (finanziell) abgesichert zu sein, heiratet Laura den 20 Jahre älteren Fabrikbesitzer Felix. Und nun beginnt ein schrecklicher Alptraum. Felix entpuppt sich als psychisch gestört und als Quartalstrinker. Laura und Clare, diese begabten und talentierten Frauen, können sich in Folge aus dieser Fesselung, diesem hoffnungslosem Leid, kaum mehr lösen.

Oh mein Gott. Die Autorin schafft ein eindrückliches, sehr beklemmendes Psychogramm einer teils schwer gestörten Familie. Sie zeigt welche Strukturen und Befindlichkeiten, welche Grausamkeiten und Schrecklichkeiten in solch kaputten Beziehungen entstehen können. Felix ist alkoholabhängig, narzisstisch gestört und sadistisch. Laura ist das passende depressiv gefärbte Pendant, die irgendwann stark co- abhängig wird und sich selbst verliert. Clare wird in die Dynamik hineingezogen und es wird ihr nicht erlaubt, das System zu verlassen. Die Opfer werden zu Tätern.

Die Autorin beschreibt dies herausragend realistisch, gleich einer psychologischen Fallstudie. Sie geht dabei tief in die menschliche Seele und zeigt die Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen der Beteiligten in all ihrer Dynamik innerhalb dieses Dreiersystems. Sie nimmt mal Clares und mal Lauras Perspektive ein. Sie zeigt die Entwicklung der Personen über einige Jahre hinweg. Die Schwestern entfremdem sich immer mehr – einander und sich selbst.

Ich litt mit den Schwestern mit, die sich immer wieder einredeten, vor allem natürlich Laura, dass sich Felix ändern wird, auch ich glaubte daran... bis doch wieder eine Schrecklichkeit geschah.

Die Atmosphäre ist beklemmend, häufig auch dumpf und niederdrückend. Erst zum Ende gelangt wieder etwas Leichtigkeit in den Roman.

Das alles geschieht vor der Kulisse des 2. Weltkrieges. Die Autorin verbleibt nicht nur auf der persönlichen Ebene, sondern zeigt immer wieder die ungleichen Bildungs-, Arbeits- Entwicklungs- und Lebenschancen von Frauen auf. Auch wird deutlich, wie soziale Zwänge, Armut und Not mögliche Handlungsspielräume einengen.

In der ersten Hälfte musste ich mich sehr zwingen weiter zu lesen, ich schleppte und quälte mich so dahin. Der Stil war mir irgendwie zu holprig, zu sprunghaft und gefiel mir häufig nicht. (Lag das an der Autorin oder an der Übersetzung?) Auch thematisch bot der Roman wenig Erhellendes, wenig Spannendes. In der zweiten Hälfte änderte sich das ein wenig. Hier wurde ich mehr gefesselt und war sehr erstaunt über die tiefe und erbarmungslose Beschreibung dieses kranken Familiensystems. Die Autorin nutzte oft Clares Stimme, um einiges zu erklären. Besser hätte mir jedoch gefallen, hätte sie die Dinge mehr gezeigt.

Fazit: Stilistisch und inhaltlich macht dieser Roman nicht immer Spass. Er fasziniert jedoch durch die ungewöhnlich tiefe Psychologie eines Co-abhängigen Familiensystems, zeigt deutlich soziale Misstände, insbesondere die Diskriminierung der Frau auf und beinhaltet viele kluge Gedanken.